Der Ausweg - Über die heilsame Natur der menschlichen Seele.
...Fortsetzung -
von Ursula von Maltzahn -
Es gibt nicht nur eine Biologie des Körpers, sondern auch eine der Seele. Genauso wie eine Pflanze Sonnenlicht, Wasser und Erde braucht, so existentiell abhängig ist jedes Kind von der bedingungslosen Liebe und Fürsorge seiner Eltern. Bekommt das Kind diese Liebe, Geborgenheit, Schutz, Verständnis und Halt, dann kann es sich seiner Natur entsprechend entfalten.
Urvertrauen, Freude, Lebenslust und Kreativität sind automatisch da und bilden die Basis für das eigene positive Selbstwertgefühl und die angstfreie Beziehung zur Umwelt und dem Leben.
Wenn Kinder geboren werden, sind sie noch vollkommen eins mit ihrer inneren Natur. In jeder Lebensphase werden besondere Funktionen und Fähigkeiten entwickelt, wie zum Beispiel Krabbeln, Laufen und Sprechen, die nicht nur im Instinkt wie bei Tieren verwurzelt sind, sondern ganz elementar über die Beziehungsqualität zwischen Eltern und Kind geprägt werden. Die gesamte frühkindliche Entwicklung und das spätere Lernen in der Schule sind also abhängig von der Beziehung zu den Eltern.
So wie die Pflanze durch zu wenig Sonnenlicht und Wasser verkümmert, genauso leidet und verkümmert das Kind, wenn die Liebe und Zuwendung seiner Eltern zu wenig da sind (zum Beispiel bei Zeitmangel und Belastungen in der Familie, Strafen wie Liebesentzug, Beschimpfungen, Schlägen und Demütigungen).
Je mehr ein Kind entbehren muss, sich entwertet, überflüssig und ungeliebt fühlt, umso größer ist der innere Schmerz von Verlassenheit und Minderwertigkeit, die, wie bereits oben beschrieben, zu Symptomen von Hypermotorik, Lern- und Sprachstörungen, Magersucht, Bettnässen, Bulimie und Sucht nach Süßigkeiten und Konsum führen.
Kann es seinen Schmerz und seine Angst nicht zeigen, fehlen Trost und Verständnis, dann ist ein Rückzug unumgänglich, und es baut eine Schutzmauer auf, um zu überleben.
Nach wie vor ist das Kind aber weiterhin auf die Beziehung zu den Eltern angewiesen und versucht auf seine individuelle Weise Harmonie und Nähe herzustellen. Es nimmt die Stimmungen und Nöte in seiner familiären Umgebung wahr und passt sich ihren Erwartungen an, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu bekommen. Das Kind unterdrückt oder gibt seine wahren Gefühle und Bedürfnisse auf.
Es wird brav und versucht zum Beispiel durch gute Leistungen oder als kleiner Clown die Eltern zu erfreuen. Es ist die Flucht in eine Rolle, um so zu werden wie Mama und Papa es sich wünschen. Die Laufbahn bis zum Erwachsenenalter ist oft vorgegeben. Das Streben nach Perfektion, um unangreifbar und wertvoll zu werden, verspricht Schutz, Anerkennung und Stabilität.
Doch schwelt der alte Konflikt noch im Inneren, mehr oder weniger bewusst.
René Spitz, ein bekannter Psychoanalytiker und Wegbereiter der Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie, hatte schon 1935 nachgewiesen, dass Babys, die ohne liebevolle Berührung und emotionale Zuwendung nur gefüttert und gewickelt werden, schwere psychische Störungen wie Hospitalismus oder Depressionen entwickeln, die sogar zum Tode führen können. (René Spitz „Vom Säugling zum Kleinkind“, Klett-Cotta Verlag)
Auch John Bowlby, ein englischer Kinderpsychiater und Psychoanalytiker, forschte im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation 1950 über Entwicklungsschäden bei Kleinkindern und deren lebenslängliche Folgeerscheinungen durch fehlende mütterliche Zuwendung. Die Forschungsergebnisse über Entwicklungsschäden und Persönlichkeitsstörungen liegen vor.
Er appellierte schon damals vehement an Eltern und Gesellschaft, alles zu tun, dass Kinder für ihre seelische und geistige Gesundheit die notwendige Fürsorge der Eltern in der Familie erhalten. Intimität und der persönliche Bezug zu Mutter und Vater können von fremden, bezahlten Pflegepersonen, die außerhalb der Familie sind, nicht ersetzt werden. (John Bowlby „Mütterliche Zuwendung und geistige Gesundheit“, die ungekürzte Bowlby-Enquete im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation, Kindler Verlag).
Leider gibt es die unterschiedlichsten Notsituationen, in denen Mütter oder Väter nicht in der Lage sind, ihr Kind selbst zu betreuen, und eine Pflegestelle oder Krippe notwendig ist. Hier müsste ganz besonders darauf geachtet werden, dass diese Kinder, die ein warmes familiäres Umfeld entbehren und dadurch belastet sind, individuell betreut und gefördert werden.
Diese Tatsachen werden von bekannten Psychoanalytikern und Kinderpsychologen, wie zum Beispiel Michael Balint, Alice Miller, Melanie Klein, Dunja Voos, Ann Kathrin Scheerer, Wolfgang Bergmann und vielen anderen belegt.
Es geht also bei der frühkindlichen Entwicklung nicht um persönliche Meinungen, sondern um zwingende Naturgesetze, die schon längst bewiesen wurden und in der heutigen Zeit in Vergessenheit geraten sind.
Machen wir uns unbedingt bewusst, wie kostbar und schicksalbestimmend auch für zukünftige Generationen das Leben unserer Kinder ist!
Auch wir Erwachsenen sind einmal Kinder gewesen und wurden durch eigene schicksalhafte Erfahrungen, familiäre Werte und Lebensmuster geprägt, welche die Verhaltens- und Beziehungsstrukturen zu uns selbst und unseren Mitmenschen bestimmen.
Sind diese liebevoll von Einfühlung und Achtung getragen, kann unser Leben glücklich und erfüllt sein. Krisen werden dann gemeinsam gemeistert, denn Vertrauen, Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung sind selbstverständlich.
Bestimmten aber Leid, Not, Krankheiten und Entbehrungen die Kindheit und Jugend, so kann es zu destruktivem Verhalten, Krankheiten, Vereinsamung und emotionaler Kälte führen.
Fast jeder Mensch braucht irgendwann einmal, zum Beispiel bei Lebenskrisen, einen geschützten Heilungsraum, wo er mit kompetenter fachlicher Hilfe (Psychotherapie, ganzheitliche Medizin und Homöopathie), seine seelischen Wunden und belastenden Lebensmuster bewusst machen, annehmen und heilen kann, damit sich der Teufelskreis von Selbst- und Fremdzerstörung auflöst.
Entscheidend wichtig ist dabei die Erfahrung von wahrhaftigem Verstanden- und Angenommensein, da nur auf diese Weise bedingungslose Liebe erfahren und gefühlt werden kann. Dadurch ist es möglich, dass schwere Lasten und Tabus von der Seele fallen.
Eine große innere Erleichterung, Dankbarkeit, Vertrauen, Freude, Lebensmut und neue Energie stellen sich ein. Der betroffene Mensch muss nun nicht länger seine alte, ihn verzerrende Maske tragen, sondern kann als authentische lebendige Persönlichkeit seine Ganzheit mit allen Stärken und Schwächen annehmen.
Er ist jetzt fähig als verantwortungsbewusster Regisseur seines Lebens neuen, lang ersehnten Lebenszielen entgegenzugehen und sich ein liebevolles, nährendes Umfeld zu schaffen, das von gegenseitiger Achtung und Unterstützung getragen wird.
Ist der innere Lebenskern befreit, so entfaltet er sofort seine heilenden und lebenserhaltenden Funktionen wieder aus sich selbst heraus.
Wir alle haben diesen wirksamen Schlüssel in der Hand, der darüber entscheidet, ob unser Leben gesünder, glücklicher und erfüllter gestaltet wird oder zu einer Hölle von Schmerz und gegenseitigen Verletzungen führt.
Benutzen wir ihn endlich, damit die Einheit des Menschen mit seiner heilsamen Natur- dem innersten Lebenskern - wieder hergestellt wird und sich sein Herz für die Fülle des Lebens in respektvoller Achtsamkeit für seine Mitmenschen, für Tiere und Natur wieder öffnen kann.
Herzlichst Ursula von Maltzahn
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