Nachricht von deinem Körper. "Stress - Tinnitus"
von Frank Seefelder
Manchmal ergibt es Sinn, die Realität zu verlassen, und ich würde mir wünschen, dass Sie bereit dazu sind. Sei es, damit Sie eine gewisse Distanz zum Trubel und der Hektik des Alltags aufbauen, sei es, damit Sie völlig neue Wege gehen und gänzlich andere Denkweisen erfahren. Dieser Artikel zum Thema „Tinnitus“ dient Ihnen als Beispiel, und es hat, auch wenn es auf den ersten Blick humoristisch erscheinen mag, einen ganz ernsten Hintergrund.
Vielleicht wird es der Wissenschaft in ferner Zukunft möglich sein, den Code der Körpersignale zu entschlüsseln, dann kann man in klaren und verständlichen Worten erfahren, was der Körper erwartet und wie er sich die gemeinsame Zukunft vorstellt. Bis zu diesem Zeitpunkt kann es allerdings noch etwas dauern, und Sie sollten sich darin üben, lesen zu lernen.
Lesen Sie im Buch Ihres Körpers, das er jeden Tag neu schreibt, weil er sich den Wandlungen in Ihrem Leben anpasst. Während Sie also noch auf der Suche nach den Kommunikationswegen zu Ihrem Körper sind, hat Ihr Organismus die Sache auf moderne Weise vereinfacht, und er lässt Ihnen eine Nachricht per E-Mail zukommen.
Von: Meinem Körper (Info (at) Körper.de)
Gesendet: Mittwoch, 20. August 2008, 15:01
An: Verstand
Betreff: Gesamtsituation
Mein lieber Verstand,
ich, dein Körper, wende mich an dich, weil ich mit der Gesamtsituation unzufrieden bin und sie so ändern möchte, dass es uns beiden gut geht. Leider hast du auf meine Signale, die ich dir in den letzten Wochen und Monaten mehrfach zukommen ließ, nicht gehört. Vielleicht hast du sie nicht verstanden oder sie überhört, das kann ja auch sein.
Du erinnerst dich aber bestimmt, dass ich dir viele Male einen Pfeifton in dein Ohr geschickt habe. Er ging nach Sekunden oder Minuten wieder weg, weil ich dachte, du hast mich gehört. Oder erinnerst du dich an die kleinen Schwindelanfälle, für die ich gesorgt habe, weil du dich wieder einmal selbst beschwindelt hast? Oder an die plötzliche Benommenheit, obwohl du doch ausreichend geschlafen hattest? Das war alles ich, dein Körper, ich gebe es zu.
Anscheinend hast du mich aber überhört oder nicht verstanden. Du lebst dein Leben weiter, als ob nichts passiert wäre. Ich wollte dir sagen, dass in deinem Leben etwas schiefläuft und dass mir deine Art zu leben schadet, und das kann ich nicht tatenlos hinnehmen. Aus diesem Grund gab ich dir ein permanentes Ohrgeräusch.
Dieses Symptom habe ich nicht aus Argwohn gemacht, wir sind ja schließlich ein Paar, das auf »Gedeih und Verderb« miteinander verbunden ist. Ich tat es, weil es mir nicht gut geht, und ich befürchte, dass alles noch viel schlimmer wird, wenn du nicht Veränderungen zu unser beider Wohl herbeiführst. Mein lieber Verstand, ich hoffe sehr auf dein Verständnis und lege mein körperliches Vertrauen in deine Hand.
Ich möchte nicht, dass du dich mit den Ohrgeräuschen abfindest. Ich frage immer wieder nach. Ich lasse sie manchmal lauter werden oder auch abklingen, damit du das Gefühl nicht verlierst, wie es ohne diese Ohrgeräusche sein könnte. Du kannst mich natürlich auch weiterhin überhören oder soll ich besser sagen: ignorieren? Ich werde auf jeden Fall nicht aufgeben, das ist nun einmal meine Natur.
Ich mache dir keinen persönlichen Vorwurf, denn viele Menschen handeln genau wie du. Hast du dir schon einmal die Frage gestellt, wieso die Pharmaindustrie Milliardenumsätze macht und die Arztpraxen überfüllt sind? DerGrund sind Menschen wie du, die einfach nicht zuhören und verstehen wollen, was ihnen ihr Körper mitteilen will. Wie die vielen anderen Kranken auch hörst du zwar, dass ich dir etwas sage, aber du hörst nicht genau zu.
Ich zeige dir wirklich alles das, was mir an deinem Verhalten und unserem Umgang nicht passt und nicht guttut. Es nervt dich bestimmt auch manches Mal, wenn ich dafür sorge, dass dein Herz rast, weil mir die Hektik zu groß wird, oder den Pfeifton im Ohr verstärke, weil ich zu viele Informationen in so kurzer Zeit nicht verarbeiten kann und aus diesem Grund nicht aufnehmen will, oder für Juckreiz und Hautausschläge sorge, weil ich eigentlich »aus meiner Haut fahren« könnte.
Glaubst du, ich tue das alles zum Spaß? Nein, ich tue das zu unserem Wohlbefinden. Wenn du aber nicht hören willst, ergreife ich andere Maßnahmen. Weil ich von Natur aus eher faul bin, suche ich mir natürlich nicht deine Stärken, sondern ich packe dich bei deinen Schwachstellen.
Ich höre immer wieder den Satz: »Das liegt ja in deiner Familie, dass du dieses gesundheitliche Problem hast.« Sei dir sicher, ich, dein Körper, kenne deine Achillesferse, und dein Doping erschwert und verlangsamt mir die Aufklärungsarbeit nur etwas, es hält mich aber letztlich nicht auf.
Zu den Drogen, die du zu dir nimmst, wollte ich dir schon seit Langem etwas sagen. Ich finde sie wirklich toll, weil sie mich völlig entspannen. Aber wenn dein Leben weiterhin so verläuft wie bisher und die Wirkung deiner Medikamente nachlässt, warum soll dann das körperliche Problem plötzlich verschwunden sein?
Verändern sich etwa deine Probleme dadurch, dass du eine Nacht geschlafen hast und nicht über deine Probleme nachdenken musstest? Warum also soll mein Problem verschwinden, wenn du es lediglich betäubst und mich für eine gewisse Zeit ruhig stellst?
Und wenn wir schon dabei sind, noch etwas. Ich habe in letzter Zeit zwei ungebetene Gäste, die hier für reichlich Unruhe sorgen, wie du mithören konntest. Irgendetwas da draußen ängstigt dich oder macht dich wütend. Ich vermute mal, es ist der Stress.
Leider schaffst du es nicht, diese Gefühle draußen zu lassen. Als kurzzeitige Gäste habe ich mit ihnen auch kein Problem, obwohl ich sie nicht mag, aber auf Dauer richten sie Schaden in mir an. Transportiere sie also bitte wieder nach außen. Ich will nicht, dass das entsteht, was die Chinesen das »Leber-Feuer« nennen, denn das bereitet uns noch mehr Sorgen.
Aber so weit soll es eigentlich gar nicht kommen. Hast du dir schon einmal ernsthaft überlegt, dass wir Partner sind? Mehr noch als mit deinem Mann oder deiner Frau bist du mit mir verheiratet. Wir beide sind inniger miteinander verbunden, als du es je mit einem anderen Menschen sein kannst.
Darum wundert es mich schon, dass du meine Belange so oft missachtest, mir kaum Aufmerksamkeit schenkst und mich nicht besonders gut pflegst. Das tust du zwar mit anderen Menschen, und auch meine Hülle behandelst du sehr pfleglich, aber das Innenleben vernachlässigst du.
Obwohl das alles vielleicht bedrohlich klingt, mache dir keine Sorgen. Ich bin nicht nachtragend und erhole mich meistens recht schnell von Rückschlägen. Im Moment bin ich noch sehr gutmütig. Okay, die Hörstörungen nerven, aber das sollen sie ja auch.
Dafür habe ich sie gemacht, aber wirklich bedrohlich für uns beide sind sie nicht. Solltest du allerdings unser Verhältnis nicht bald einmal grundsätzlich überdenken, werde ich dir Probleme bereiten, die du
wahrscheinlich gar nicht kennenlernen möchtest.
Ich wünsche mir für unsere gemeinsame Zukunft, dass du mich als einen Teil deines Lebens wahrnimmst, mich akzeptierst und mir auch einmal Ruhephasen gönnst. Schließlich wollen wir beide doch dasselbe: gemeinsam und gesund alt werden.
Auch wenn in der Vergangenheit einiges schiefgelaufen ist, lass uns jetzt neu anfangen und in eine ausgeglichene Zukunft starten. Du wirst schon sehr bald erfahren, wie gut es dir geht, wenn es auch mir gut geht.
Einen lieben Gruß an meinen Verstand,
dein Körper
Ihr Frank Seefelder