Hommage an Abraham Maslow -
der Transzendente Mensch.
von Ralph Wilms -
Etwas in uns treibt, meistens. Beim einen sind es unbefriedigte Wünsche, beim anderen ein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis, beim nächsten einfach eine körperliche Rastlosigkeit. Man möchte zur Ruhe kommen, alles schön und gut, aber wer hält den inneren Druck aus? Etwas treibt uns zu immer neuen Handlungen. Einerseits die Hoffnung, dass es besser wird, andererseits die Angst, dass es schlechter werden könnte. Wenn es nicht der Verstand ist, der uns antreibt, ist es das Gefühl; und wenn es nicht das Gefühl ist, dann die innere Spannung oder der Hunger, obwohl man gerade gegessen hat.
Es ist nicht so einfach, kreative, evolutionäre Handlungsimpulse zu unterscheiden vom unbewussten, impulsiven Drängen alter Muster, die uns womöglich ein Leben lang an der Nase herumführen. Abraham Maslow, Gründer der transpersonalen Psychologie, verschafft uns Klarheit, wo die Reise hingehen kann, wenn man in der Gegenwart ankommt. Kein anderer wie Abraham Maslow hat sich so früh in der Geschichte der Psychologie mit der Frage nach dem nächsten Entwicklungsschritt in unserer menschlichen Evolution beschäftigt. In seinen späten Schriften nannte er, den sich abzeichnenden, reiferen Menschen: „Transcender“, den transzendenten Menschen.
• Er bezeichnet ihn als ein kreatives Wesen, welcher die gesellschaftlichen Konditionierungen und
Stereotypen hinter sich gelassen hat. Transcender gehen vollkommen in der Gegenwart auf. Sie sind
zeitlos, selbstlos und nicht mehr den gesellschaftlichen und historischen Denkstrukturen unterworfen.
• Transcender erleben eine Einheit mit weitgehend allem, was sich in jedem Augenblick als Wirklichkeit
manifestiert, auch dort, wo vorher hauptsächlich ein Gefühl der Trennung vorherrschte. Das
Einheitsgefühl des Transcenders wird begleitet von einer zunehmenden Realisierung und Führung durch
das Höhere Selbst und einer reifen Akzeptanz der eigenen Menschlichkeit. Die Vergangenheit wird
aufgegeben. Was immer geschieht, wird wie ein Gemälde betrachtet, das man das erste Mal sieht. Die
Lösung für jedwedes Problem erschliesst sich durch intensive, von Präsenz geprägter Wahrnehmung.
Im Gegensatz dazu, wird das „kategorisierende, durch die Brille alter Erfahrungen und Gewohnheiten-
konditionierte Betrachten“ der Wirklichkeit, als abstumpfender Mechanismus durchschaut.
• Transcender geben die Zukunft auf. Oft betrachten und benutzen wir die Gegenwart nur als Mittel zum
Zweck für die Zukunft. Meistens hören wir einer anderen Person nicht wirklich zu und bereiten, während
sie noch spricht, bereits innerlich unsere Antwort vor. Transcender hören mir voller Präsenz zu. Dadurch
vertiefen sich ihre Beziehungen.
• Transcender sind unschuldig. In ihrer Wahrnehmung und im Verhalten sind sie unschuldig und spontan.
Ein Ereignis fühlt sich für sie an, als wären sie nackt, arglos, ohne Erwartungen, ohne ein Müssen oder
Sollen; ohne formal richtig oder falsch; offen für alles, was passiert; ohne Stress, Empörung oder
Leugnung.
• Transcender sind freier als der Durchschnittsmensch von Erwartungen, Verpflichtungen, Ängsten und
Hoffnungen, vor allem was ihre Beziehungen zu anderen Menschen angeht. Sie erlauben sich mehr, sie
selber zu sein, bzw. ihr wahres, authentisches Selbst zu zeigen. Sie haben einen Grossteil ihrer
neurotischen Beziehungsmuster aus der Kindheit transzendiert. Sie brauchen keine Masken und
müssen andere nicht beeindrucken oder manipulieren.
• Transcender sind selbstvergessen. Sie haben aufgehört sich zu kritisieren oder ständig zu beurteilen.
Sie verweilen hauptsächlich im Sein. Paradoxerweise findet man sein wahres Selbst erst dann, wenn
man sein Selbst vergisst. Erst dann kann sich das Höhere Selbst in jedem Augenblick spontan
manifestieren.
• Ängste sind weitgehend verschwunden. Ängste betreffen immer die Zukunft. Durch eine tiefe
Verankerung in der Präsenz, lösen sich defensives und gehemmtes Verhalten weitgehend auf,
zugunsten eines tiefen Vertrauens in die Existenz und die eigene schöpferische Kraft. Mut und Stärke
treten an die Stelle von Ängsten und Sorgen.
• Transcender haben eine positive Grundhaltung und tiefe Akzeptanz. Durch Kultivierung der Präsenz im
Augenblick und Selbstvergessenheit verschwinden negative Verhaltensweisen wie Kritiksucht, Zweifel,
Skepsis, Zynismus, Sarkasmus, Zurückweisung von Unbekanntem oder voreilige Ablehnung. Sie
erlauben Menschen und Dingen ihren eigenen Weg zu gehen.
• Transcender haben ein tiefes Vertrauen in das Leben. Kontrolle, Anstrengung, Wille, Konkurrenz oder
Streben weichen zugunsten eines Vertrauens in die Fähigkeit zur kreativen Improvisation in der
Begegnung mit dem Unbekannten. Wir alle wissen, dass bei so natürlichen Vorgängen wie dem
Gebären, beim Einschlafen oder in der Sexualität, Streben und Kontrolle aufgegeben werden müssen,
zugunsten eines entspannten, vertrauensvollen Loslassens.
Der einfachste Zugang in das Bewusstsein eines Transcenders ist Selbst-Gewahrsein. Diese alte Technik der Sufis (Self-Remembering) besteht darin, sich des Gefühls der eigenen Existenz, des Seins, einfach nur gewahr zu sein. Wie fühlt es sich an, derjenige zu sein, der jetzt diesen Text liest?
Herzlichst
Ralph Wilms
Gründer der Transpersonalen Akademie
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