Der psychische Bewusstseins-Tempel oder der Vorhof.
von Martinus -
Der psychische Tempel – der Vorhof.
Von einer kosmischen Ebene aus gesehen ist die ganze erdenmenschliche mentale Sphäre in drei verschiedene psychische Daseinsebenen einzuteilen. Diese drei Daseinsebenen sind in der jüdischen Tempelstruktur genau symbolisiert worden.
Wir wissen, dass die Juden der Auffassung waren, dass ein Tempel in drei Abteilungen geteilt sein musste. Das Tabernakel wie auch Salomos Tempel waren in den „Vorhof“, das „Heilige“ und das „Allerheiligste“ eingeteilt. Und diese Einteilung war nicht nur eine praktische Maßnahme, sondern sie war, wie schon gesagt, das Symbol für die drei psychischen oder mentalen Sphären, die das geistige Lebensgebiet der Erdenmenschheit bilden.
In den „Vorhof“ durften alle kommen. Er symbolisiert die menschliche Sphäre, welche alle diejenigen, die immer noch nur ein „Herdenbewusstsein“ besitzen und die sich nicht daraus erheben können, umfasst. In dieser mentalen Sphäre finden wir die irdische Allgemeinheit. Sehen wir uns diese Allgemeinheit an, können wir sehen, dass sie aus Menschen besteht, die noch nicht besonders individuell geprägt sind.
Diese Menschen folgen der Meinung der Mehrheit und handeln meistens danach, was Sitte und Brauch ist. Sie sind an religiöse Dogmen gebunden, an politische Parteien. Sie sind kurz gesagt die „allgemeinen Mitglieder“ der existierenden unzähligen Vereine, überall sind sie in irgendeiner Herde eingefangen.
Eine selbständige Bewertungsfähigkeit oder Meinung haben sie nicht. Ihre Antworten auf Fragen über die wichtigsten Probleme des Lebens sind also nicht ihre eigenen Antworten, sondern die des Vereins, der Sekte oder der Partei, denen sie angehören. Hier existiert das Leben als eine kolossale bunte Mentalitätsverwirrung. Und hier kämpft Herde gegen Herde, Politik gegen Politik, Religion gegen Religion, Ideologie gegen Ideologie.
In diesem Kampf ist das einzelne Wesen auf Grund seiner mentalen Unselbständigkeit oder seiner suggerierten Bindung an Sekten, Parteien oder einen Führer nur eine Art mechanischer Apparat, der ohne jedes selbständige Denken automatisch in Funktion tritt, sobald seine Sekte, seine Partei oder sein Führer angegriffen wird, um schnellstens dem Gegner oder der Opposition entgegenzutreten.
Da es unzählige unterschiedliche Vereine, Herden oder Zusammenschlüsse gibt, deren allgemeine Mitglieder aus solchen automatisch handelnden, animalischen Robotern bestehen, die ganz ohne logisches selbständiges Denken in Funktion treten, wenn selbst der kleinste Angriff auf ihre Auffassung eintritt, sind wir hier an der Wurzel aller Kriege. Hier kämpfen alle gegen alle.
Da in dieser Situation keine Rede von selbständig denkenden Menschen ist, sondern von Menschen, deren Meinung ihnen durch Suggestion zugeführt wurde, der sie nun automatisch gehorchen, ist jede Form von Krieg zwischen diesen Wesen in Wirklichkeit ein Krieg zwischen „mentalen Schlafwandlern“, zwischen „animalischen Maschinen“ oder „Robotern“, die von einem „Führer“ darauf eingestellt sind, im gleichen Augenblick automatisch zu explodieren, in dem sie Widerstand von Anhängern anderer Parteien oder Sekten fühlen.
Alle hier berührten Formen von Kriegen oder Kämpfen sind also keine Kämpfe zwischen selbständig denkenden Menschen, sondern Kämpfe zwischen blinden und toten Automaten, deren eigenes individuelles Ich-Gefühl und logisches Denkvermögen durch eine Suggestion, die ihnen durch ihre Partei, ihre Herde oder ihren Führer eingegeben wurde, gelähmt und außer Betrieb gesetzt wurde.
Es ist deshalb nicht so merkwürdig, dass Christus seinen Henkern gegenüber die Worte gebrauchte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Er sah, dass seine Henker unselbständig denkende Wesen waren, die nur von Vorstellungen aus handelten, die ihnen von außen diktiert worden waren. Sie handelten nicht von dem aus, was wirklich Wahrheit war, sondern von dem aus, was sie als richtig und damit moralisch betrachteten. Sie handelten nicht von einem direkten selbsterlebten wirklichen Wissen über die Situation oder gar von der Analyse dieser Situation aus, sondern von einer Auffassung aus, die ganz das Resultat des Glaubens war.
Aber etwas glauben, unabhängig von der Möglichkeit zu zugänglichem Wissen, ist dasselbe wie suggeriert zu sein. Die Henker Jesu waren also, wie überhaupt alle Henker, geistige „Roboter“, die automatisch auf „Befehl“ in Funktion treten, gleichgültig welche Verteidigung Jesus auch hätte leisten können.
In diesem „Vorhof“, in dieser mentalen oder psychischen Sphäre, haben wir die einstweilige Heimat aller unselbständigen Wesen oder aller Menschen, die noch nicht zu selbständigem Denken herangewachsen sind und die deshalb ihren Lebensschutz nur durch einen festen Anschluss an eine Herde suchen können und denen suggeriert wurde, die Ideale und Struktur der Herde als das „einzig Seligmachende“ aufzufassen.
Solche unselbständigen, mental oder gedankenmäßig schlafenden Menschen, mit eingebildeten Auffassungen oder Vorstellungen vom Leben und Tod treffen wir überall dort an, wo viele Menschen versammelt sind. Es ist deshalb sehr klug zu untersuchen, ob ein Mensch, mit dem man in Berührung kommt, ein solcher animalischer Roboter ist, eine „Maschine“ einer größeren existierenden Gesamtheit, bevor man sich mit ihm einlässt.
Einem solchen Menschen gegenüber nützt es nichts, mit logischer Argumentation zu kommen, mit Belehrungen oder Auskünften. Er ist entweder absolut unempfänglich für solche Argumente oder wird sehr schnell auf genau dieselbe Weise explodieren, wie jede beliebige andere automatisch wirkende „Höllenmaschine“ und wird einen Strahl von Intoleranz, Hass und Unvorteilhaftem gegen uns aussenden.
Ebenfalls sollte man sehr wachsam gegen den Strom von suggerierenden Einwirkungen sein, der in Form von Zeitungen, Reklame oder all der glühenden Propaganda von Vereinen beabsichtigt, unseren kritischen Sinn und unser logisches Denkvermögen einzuschläfern, um so leichter die Macht über uns zu erobern und uns zum Mitglied gerade ihrer Auffassung vom Leben oder Dasein zu machen.
Einer solchen Sphäre anzugehören, bedeutet also, dass man niemals ganz man selbst ist. Man hat seine eigene Individualität noch nicht gefunden. Man hat kollektives Bewusstsein. Man muß mit der Meinung der Herde leben, weil man noch nicht imstande ist, eine absolut selbständige persönliche Auffassung zu haben. Ein Mensch mit einer unselbständigen Lebensauffassung ist also kein freier Mensch, sondern ein gebundenes oder gefangenes Wesen. Er ist, geistig gesehen, ein Sklave. Von diesen Bewohnern des „Vorhofs“ heißt es, dass sie die nächste psychische Sphäre nicht betreten dürfen. Das ist nur den „Priestern“ erlaubt.
Herzlichst Martinus
Übersetzung: Erich Gentsch
Erste Veröffentl. dt. KOSMOS 9/1985
Überarbeitung: Helga Holmgren, Karin Linde
© Martinus Institut 1981 www.martinus.dk