Bewusstsein: Deine Traumfilter.
von Veit Lindau -
Träume und Traumfilter.
Denken wir noch einen Schritt weiter: Wer oder was in dir entscheidet, welche von den 11 Millionen Reizen du überhaupt wahrnimmst? Wie filterst du die 200 „richtigen“ heraus? Und was geschieht dann mit diesem kläglichen Häufchen an Informationen? Wie setzt du daraus deine Wirklichkeit zusammen?
Der grundlegende Filter sind deine physischen Begrenzungen.
Deine Sinnesorgane können bestimmte Schall- und Lichtfrequenzen gar nicht wahrnehmen, die beispielsweise Hunde hören oder Insekten sehen können.
Daneben verfügst du über drei mentale Filtermechanismen, die dein Unterbewusstsein nutzt, um deine interne Wirklichkeitsblase zu konstruieren.
1. Filter: Löschen: Dieser Filter ist der stärkste. Er hält alles draußen, was als „zu viel, unwesentlich,
zu bedrohlich“ eingeschätzt wird. Du hörst nur, was du hören willst. Du siehst nur, was du glaubst.
Alles, was dich überwältigen beziehungsweise deine Weltsicht zu radikal infrage stellen würde,
kommt erst gar nicht in deinem Bewusstsein an. (*)
2. Filter: Verzerren: Bildhaft gesprochen besitzt dein Unterbewusstsein die Fähigkeit, die Lautstärke
mancher Informationen hoch- und die anderer runterzudrehen. Das heißt, du verzerrst die
Dimensionen. (**)
3. Filter: Verallgemeinern: Jedes Mal, wenn du in Gedanken Worte verwendest, wie „immer, niemals,
jeder, niemand, alle …“, verallgemeinert dein Verstand. Beispiele: „Ich werde nie geliebt. Immer geht
alles schief. Das schaffe ich nie. Männer sind immer …“ (***)
Fassen wir noch einmal zusammen:
Nimm 0,002 Prozent aller verfügbaren Informationen. Die lösche, verzerre und verallgemeinere nach Gutdünken – und fertig ist DEINE Realität!
Auf so ein solides Wirklichkeitsgerüst kann man doch echt bauen, oder?
Was du siehst, ist nicht die Wirklichkeit, sondern der Traum, auf den du dich eingespielt hast.
Ausblenden, verzerren, verallgemeinern – nach welchen Kriterien geschieht das eigentlich bei jedem Einzelnen? Oder, anders gefragt:
Wer entscheidet, was deine Filter durchlassen und wie sie es „aufbereiten“?
1. Deine kulturell-soziale Prägung
Ein Inuit besitzt zum Beispiel mindestens 20 verschiedene Worte für Schnee. Wir sehen einfach ... ähm ... Schnee?!
Du siehst einen Stuhl. Ein Amazonasindianer sieht vielleicht nur Feuerholz.
Ein afrikanischer Voodoopriester schaut in die Nacht und sieht Geister. Du denkst, er spinnt.
Ein Weltklassegeiger geht nach dem Konzert traurig nach Hause. Er hat dreimal nicht den richtigen Ton getroffen. Du gehst nach demselben Konzert nach Hause und denkst: „Das war das Vollkommenste, was ich je gehört habe.“
Du hast dich in ein Drei-Sterne-Restaurant verirrt. Während der Herr am Nebentisch einen Gaumen-Orgasmus nach dem nächsten erlebt, denkst du bei jedem Gang, der dir serviert wird: „Die wollen mich wohl verarschen“, und rechnest aus, wie viele Currywürste du dir davon hättest leisten können.
2. Deine Erfahrungen
Das, was du an Glaubenssätzen in deiner Kindheit zu hören bekommen hast, beeinflusst deine grundsätzliche Einstellung dem Leben gegenüber. „Leben ist Kampf!“ – „Wenn man sich zu ehrlich zeigt, bekommt man einen drauf.“ – „Schuster, bleib bei deinen Leisten.“ Wer solche Sätze oft zu hören bekommt, nimmt die Welt anders wahr als jemand, der oft gehört hat: „Wenn du willst, kannst du alles schaffen! Vertrau dir selbst. Du bist gut und richtig.“
Und natürlich werden auch die Erfahrungen, die du als Kind gemacht hast, deine Sicht auf die Welt langfristig prägen. So sieht ein Scheidungskind vielleicht in jedem späteren Streit den drohenden Verlust eines geliebten Menschen. Und ein Mensch, der in seiner Kindheit viele abwertende Urteile über sich hören musste, glaubt sie irgendwann auf einer tieferen Ebene selber. Er sieht dann nicht mehr die offenen Türen des Lebens, sondern nur noch die Mauern und Niederlagen. Während jemand, der starken Zuspruch erfahren hat, wahrscheinlich schneller die Chance in jeder Situation bemerkt.
3. Wichtig/unwichtig
Was von deinem Unterbewusstsein als „persönlich wichtig“ kategorisiert wird, nimmst du wesentlich schärfer wahr.
Beispiel 1: Du bist Mutter und sitzt entspannt auf dem Kinderspielplatz. Das Geschrei der Kinder um dich herum nimmst du nur als Grundrauschen wahr. Es wird von deinen Filtern heruntergedimmt (verzerrt), damit du in Ruhe lesen kannst. Bis du ein ganz bestimmtes Weinen hörst: das deines eigenen Kindes. Sofort bist du hellwach!
Beispiel 2: Noch vor ein paar Wochen war sie nur eine Frau, die du auf einer Party kennenlerntest. Sie flirtete mit dir, aber auch mit anderen. Das war okay, denn sie gehörte dir ja nicht. Du hast dich von deiner besten Seite gezeigt. Du hast sie umworben, mit Charme, Witz und Blumen. Denn dein Verstand hatte sie in die Kategorie eingeordnet: „Potenziell interessant. Aber noch nicht sicher!“ Jede kleinste Geste, ihr Lachen, wie sie die Hüften bewegte, ihr Duft – alles an ihr kam dir magisch vor. Dann gelang es dir, sie tatsächlich zu erobern. Etliche Tage später wachst du zum wiederholten Male neben ihr auf. Sie ist immer noch dasselbe Wunder. Doch in deinem Bewusstsein wurde aus einer Frau (d)eine Frau! Ein einziger Buchstabe … mit dramatischen Konsequenzen. Deine unterbewusste Intelligenz hat ihr nun einen anderen internen Stempel verpasst. Aus: „Unsicher! Also gib dir alle Mühe. Bleibe wach. Genieße jeden Moment!“ wurde „Objekt gesichert. Kenne ich. Bemühungen langsam runterfahren.“ Die Magie ist weg.
Doch sie verschwindet nicht wirklich, sie wird nur von deinen Filtern nicht mehr durchgelassen. Das kann sich, wie du vielleicht selbst schon einmal erfahren hast, als ein verhängnisvoller Fehler herausstellen. Denn du schlaffst ab. Du verpasst das Wunder neben dir. Bis es eines Tages geht, weil es nicht mehr gesehen wird. Aus deiner Frau wird wieder eine Frau. Nun bist du wieder wach. Doch sehr wahrscheinlich ist es jetzt zu spät.
Ist dir schon aufgefallen, dass manche Menschen in jeder Situation eine offene Tür finden und andere auf jeder Wiese einen Stein, über den sie stolpern können? Der eine ist nicht schlauer als der andere – seine Filter sind nur anders eingestellt.
Die Kategorie, in die du eine Sache, einen Menschen oder eine Situation innerlich einordnest, entscheidet darüber, welchen Bruchteil an Informationen du wahrnimmst. Wenn ein Problem von dir das Etikett „Nicht lösbar. Zu schwer.“ übergestülpt bekommt, wirst du nur noch die Aspekte erkennen, die dir beweisen, dass es zu schwierig und nicht lösbar ist. Wenn du dein Problem als „unfair“ einstufst, wird es zur Strafe usw.
Wenn du das nächste Mal vor einem scheinbar übermächtigen Problem stehst, mach dir bewusst: Du nimmst gerade nur 200 von 11.000.000 Informationen wahr, die es dazu zu erleben gibt. Dein Problem ist also nicht die Wahrheit, sondern ein kleines, verzerrtes Abbild von einem winzigen Aspekt des Lebens, der so ausschließlich in deinem Kopf existiert. Es ist der Weckruf aus deinem Traum.
Fazit:
Du reagierst niemals auf „objektive“ Probleme, sondern immer nur auf die Bedeutung, die du selbst den Dingen gibst.
Rechthaben ist dein verzweifeltes Negieren dessen, was du in diesem Kapitel gelesen hast.
Herzlichst
Veit Lindau
(*) Ein Pessimist geht durch die Straßen einer Stadt und sieht nur Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs. Ein Optimist sieht auf demselben Weg die Blume, das freundliche Lächeln, die Hilfeleistung … Keiner von beiden hat im absoluten Sinne recht, beide haben nur bestimmte Informationen nicht zugelassen.
(**) Wenn du sehr selbstkritisch bist, gehst du vielleicht am Abend ins Bett und die hundert Sachen, die dir heute gut gelungen sind, erscheinen dir wie ein kleiner Klacks. Doch der eine Fehler, der dir unterlaufen ist, der bildet einen Riesenschatten auf deiner inneren Leinwand. Kommt dir das bekannt vor?
(***) Verallgemeinerungen vereinfachen dein Weltbild, indem sie alle Gegenbeweise ausblenden.
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "No Prblem" von Veit Lindau.