Prolog - Bewusstsein: Der Spielmeister und die Neugier der Seele.
von Veit Lindau -
Der Spielmeister und der Adept standen vor dem Gang des Vergessens. Dahinter, verborgen im Zwielicht, wartete die Pforte: der Eingang zum Spiel.
Der Spielmeister spürte die drängende, unschuldige Neugier der jungen Seele. Sie wusste nicht.
Der Alte lächelte still, milde. Nur wer genau hinsah, bemerkte in der dunklen Tiefe seiner Augen einen mitfühlenden Schmerz. Denn er wusste.
Alles musste so sein.
Leise sprach er zu seinem Schüler:
„Es ist deine Wahl. Du musst das Spiel nicht spielen.“
„Ich weiß. Ich will es aber spielen. Was werde ich erleben? Werde ich eine Frau sein oder ein Mann? Wo wird das Spiel stattfinden? Wie lange wird es dauern?“
„Lass dich überraschen. Mach dir nun noch einmal die wichtigste Regel des Spiels bewusst: Sobald du den Gang des Vergessens durchschritten hast, wirst du nicht mehr wissen, dass es ein Spiel ist. Du wirst dich an unser Gespräch nicht mehr erinnern. Alles, was du träumst, wird dir vollkommen real erscheinen. Du wirst suchen, leiden und kämpfen, als gäbe es nichts außer deinem Traum.“
Das junge Wesen antwortete schnell und altklug: „Ja, ja, ich weiß. Darin liegt ja gerade der Spaß. Kann ich jetzt los?“
Der Spielmeister nickte ruhig und liebevoll: „Ja, du kannst jederzeit gehen.“
Mit federnden Schritten begab sich die junge Seele in den Gang des Vergessens. Nach einigen Metern aber drehte sie sich noch einmal um und kam zurück. Ihre Stimme klang jetzt etwas nachdenklicher: „Aber was ist, wenn ich mich nie wieder erinnere?“
Der Spielmeister schmunzelte gutmütig und sagte: „Ich dachte schon, du würdest nie fragen. Wir haben diese Gefahr natürlich bedacht. Wenn du dich zu tief in deinem Traum verirrst, schicken wir dir drei Weckrufe.“
„Welche sind das?“
„Zuerst senden wir dir ein Problem.“
„Was ist ein Problem?“
„Ein Problem ist ein Ereignis, das dein Spiel zum Stolpern bringt, weil du es nicht kontrollieren kannst.“
„Aha. Und was ist der zweite Weckruf?“
„Wenn der Kontrollverlust noch nicht ausreicht, um dich zu wecken, schicken wir Schmerz. Dann wirst du intensiver unter deinem Problem leiden.“
„Und was ist, wenn Problem und Schmerz nicht ausreichen? Was, wenn ich immer noch weiterträume?“
„Für diesen Fall haben wir ein Buch in deinem Spiel deponiert. Es wird dir zum perfekten Zeitpunkt in die Hände fallen. Es heißt: NO PRBLEM.
Wahrscheinlich wirst du dich über den Titel wundern und es deshalb in die Hand nehmen. Vielleicht bekommst du es auch empfohlen. Wie auch immer, es wird dich zur rechten Zeit finden. Wenn du bereit bist, wirst du es lesen und dich erinnern.“
„Woran merke ich, dass ich bereit bin?“
„Wenn du nicht mehr recht haben musst.“
„Dann ist mein Erwachen also gewiss?“
„Ja, das ist es. Und jetzt geh!“
Herzlichst
Veit Lindau