Traumalösung - wie ist das, dass du darüber sprechen kannst?
Ein spiritueller Reisebericht über ehrenamtliche Arbeit mit Straßenkindern in Nicaragua
von Oliver Unger
5. Woche
Sehr schnell bemerkte ich, dass ich zunächst theoretische Aufklärungsarbeit zu leisten hatte, damit die Gespräche etwas weniger direkt auf ihre schlimmsten Erfahrungen lenkten. Ich gab mein Bestes, um der Psychologin und den anderen Kollegen zu erklären, was mit dem Nervensystem geschieht, wenn ein Mensch traumatisiert ist.
Die Kollegen waren sehr interessiert, aber es blieb für sie bei der Theorie, denn bis Tief berührt und SE (Somatic Experiencing Traumalösung) als „Lebens- und Denkweise“ integriert ist, dauert es offenbar eine Weile.
Außerdem hätte dies eine Überprüfung aller ihrer erzieherischen Methoden und ethisch moralischen Denkweisen erfordert. In der Kürze der Zeit, in der ich die Kollegen und Jugendlichen begleitet habe, war dies nur in Ansätzen möglich.
Zudem schien die Kollegin unter einem „speziellen Leistungsdruck“ zu sein. Neben ihren männlichen Kollegen, die nichts von „Psychologie“ hielten und deren Einstellung auch implizit immer im Kontakt mitschwang, sah sie sich darauf angewiesen, etwas zu „leisten“, zu „machen“, damit man auch sehe, dass ihre Arbeit und damit auch ihr Posten gerechtfertig war.
Ich setzte durch, dass ich mit den Jugendlichen alleine arbeiten durfte. So gab es die Kollegin, die nach bestem Wissen und Gewissen weiter versuchte, ihre analytische psychologische Arbeit durchzuführen und mich, der versuchte, den Jugendlichen ein paar Ressourcen zu „entlocken“.
Dies ist ein hilfreiches Mittel, um der immensen inneren Spannung zu erlauben, sich zu entladen. Zunächst versuchte ich kurze, so harmlos wie mögliche, SE-Trauma-Sitzungen durchzuführen, stieß aber an mehreren Punkten an meine Grenzen.
Zum einen konnte ich trotz fünfjähriger Spanisch-Erfahrung die Sprache der Jugendlichen nicht immer verstehen. Zudem fiel es mir schwer, überhaupt Ressourcen zu finden und zu etablieren, denn sie hatten offenbar tatsächlich nicht viele.
Der Drogenkonsum versperrt ihnen den Blick auf so vieles: auf ihre Fähigkeiten, die Schönheit der Natur, die Liebe der Betreuer im Zentrum und so weiter. Es gab in den allermeisten Fällen nicht einmal die Möglichkeit, sich auf Kumpels von der Straße zu beziehen, um diesen Kontakt als Ressource zu nutzen.
Fragen wie „Wie ist das, dass du darüber sprechen kannst?“ beantworteten sie mit Schulterzucken.
Manchmal fand ich kleine Lichtblicke, wie 'Humor', 'Musik' oder 'andere Menschen mit Mangos bewerfen'. Aber diese Ressourcen waren nicht so kraftvoll, um tiefere Entladungen einladen zu können. Aber immerhin schienen sie mit der Zeit zumindest Vertrauen in mich zu gewinnen.
Weitere Erfahrungen zu meinem spirituellen Reisbericht gebe ich Ihnen gerne in der nächsten Woche. Ich freue mich über jede Rückmeldung und jede Frage.
Herzlichst Ihr Oliver Unger
Unterstütze das Buchprojekt „Rohdiamanten“ mit einer Spende (für Lektorat etc.). Der Erlös aus dem Verkauf des fertigen Buches schafft eine regelmäßige Spendengrundlage für die Straßenkinder in der Stadt Granada, Nicaragua. Mehr Information findest Du auf tiefberuehrt.de/page/hilfe-fuer-nicaragua
Es danken Dir im Voraus Oliver Unger, Projekt-Förderer Bernd V., Lektorin Michélle P., Jonathán, Karla, Ana María, Francisco und Freunde aus Granada, Nicaragua