Neuroaffektive Regulation und Meditation –
wie beeinflussen sie sich gegenseitig und wie können sie sich unterstützen
von Oliver Unger -
Vom Schokoladensüchtigen zum Meditierer.
Sind Rauchen, in den Kopf gehen und viel denken, müde werden usw. also Selbstregulationsmechanismen? Das klingt nicht sehr verlockend, oder? Kann dies ein wünschenswerter Dauerzustand sein? MUSS dies ein Dauerzustand sein?
Der Körper bietet eine Menge anderen Möglichkeiten, sich selbst zu regulieren. Um Beispiele zu finden, können wir uns die Tiere ansehen. Sie regulieren sich, indem sie nach ihrem Revier-Gerangel auseinander gehen und sich schütteln. Danach ist meist wieder alles normal. Man denke an Hunde, die einfach gähnen, wenn sie unter Stress geraten. Was fällt da von den Tieren ab, wenn sie gähnen oder sich schütteln? Können wir Menschen diese Regulationsarten nachahmen?
Probier es aus. Künstlich zu gähnen ist eine alte Yoga-Atem-Technik. Gähnen ist eine Möglichkeit, Dampf aus dem Nervensystem abzulassen. Derer gibt es eine ganze Menge. Bewusst auf die Atmung achten, bewusst auf die Arme, Hände, Beine und Füße zu achten, bringt ebenfalls sofort die Selbstregulation des Körpers in Gang.
Es braucht zugegebenermaßen ein wenig Übung, bis der Körper die „alten“ Regulationsbahnen nicht mehr nimmt. Schließlich hat er sich zwanzig, dreißig, vierzig Jahre daran gewöhnt. Es waren bisher ja immer die bewährten Bahnen, die schon die Eltern benutzt haben. Neue Blitzableiter zu etablieren ist wie durch ein unwegsames Dickicht einen Pfad zu schlagen, der begehbar ist.
Dieser Pfad wird irgendwann dein Rauchen und Fernsehen ersetzen können. Auch die Schnitzel und Schokolade werden über die Tischkante fallen, wenn du spürst, dass du deine Spannung im Körper durch einfachste Bewegungen, einfachste Lenkung der Aufmerksamkeit im Körper regulieren kannst.
Stell dir vor, du streitest dich (oder freust dich) und statt die gefühlte Wallung hinterher „wegzumachen“, darf sie sich fast wie von allein in deinem Körper verteilen. Ich nenne diese bewusste Steuerung der Entladungsreaktion nach emotionaler Beteiligung „Sekundärregulation“. Das bedeutet, dass du die „Pfade in dein persönliches Dickicht“ mit Willenskraft schlägst.
Möglichkeiten und Impulse zur Sekundärregulation bieten dir viele alternative Heilverfahren an. Sie bieten statt Fressattacken, Arbeitssucht, Rauchen etc. dem Körper Wege an, wie er zu seiner gesunden Regulation zurück finden kann. Ich persönlich empfinde die Regenerierenden Bewegungen (www tiefberuehrt.de) als eine sehr natürliche Variante einer solchen Sekundärregulation. Der Sprung zur „Primären Regulation“, auf die ich später noch eingehe, ist deutlich kürzer als bei anderen Heilverfahren.
Auf neuronaler Ebene bedeutet das: Der Sympathicus steigert seine Spannung, sobald du dich streitest, dich freust, wütend wirst usw. Rauchst du, schaust du dann in die Glotze oder verziehst dich, bleibt die Spannung im Sympathicus erhalten. Sie ist zwar nicht mehr fühlbar, erlebbar, doch sie ist noch da. Das kann sogar dazu führen, dass du dir im Laufe des Tages mehr auflädst, als du verkraften kannst, denn es fühlt sich ja nicht mehr so bedeutsam an.
Praktizierst du stattdessen willentliche „Sekundärregulation“, gibst du dem Sympathicus die Möglichkeit, seinen Dampf wirklich abzulassen. Du spürst im Körper, wie die Welle der Körperempfindung, die dich während einer Emotion überrollt, verebbt und sich nach und nach zurückzieht. Manche sagen, sie fließt aus den Armen und Beinen heraus. In der Körpermitte entsteht dadurch mehr gefühlter Raum.
Die Vorteile liegen auf der Hand: „Sekundärregulation“ bewirkt, dass du deinen Sympathicus entlastest. Das Gefühl, überfordert zu sein, verschwindet. Stell dir nur vor, wie es wäre, wenn du von der Arbeit kämst und du könntest dich wieder freuen, dass deine Kinder auf dich zugelaufen kommen und mit dir spielen wollen. Auch der bremsende Parasympathicus wird dabei entlastet. Dies hat positive Auswirkungen auf die Tätigkeit der inneren Organe und den Schlaf.
Wo es eine Sekundärregulation gibt, gibt es auch eine „Primärregulation“. Schließlich ist es auch nicht ideal, in jeder Situation seine Kügelchen einzunehmen oder sich mit heftigem Zittern oder anderen Übungen zu entladen. Sobald dein Körper erkennt, dass der Sympathicus durch die Sekundärregulation entlastet werden kann, vereinnahmt er die Pfade, die du vorher mit deinem Bewusstsein und deiner Willenskraft geschlagen hast. Was du zuvor bewusst trainiert hast, kann dein Körper dann ganz schnell von allein. Das mag zum jetzigen Zeitpunkt vielleicht für dich noch utopisch klingen, doch es wird geschehen.
Sobald der Körper die ersten gesunden Regulationsbahnen in seinen Urwald hineingebracht hat, hört er von allein auf, durch Essen, Aggression, Schlafstörungen, Depressionen und dergleichen zu kompensieren. Er nutzt diesen neuen Regulationsmechanismus. Und deine Aufgabe ist es, dies einfach bewusst geschehen zu lassen.
Energiearbeiter würden dies als eine Art „Öffnung des Energiekanals“ wahrnehmen. Körperarbeiter bezeichnen dies manchmal als Fähigkeit, sich zu „erden“. Psychologen erkennen diese Fähigkeit als „Fähigkeit zur Selbstbeobachtung“ und Ärzte messen dies am Grad der Gesundheit. Meditieren kann also nur jemand, der bereits einen kleinen Pfad „primärer Selbstregulation“ etabliert hat. Da viele Menschen einen solchen Pfad bereits in sich besitzen, gelingt ihnen die Meditation auch auf Anhieb. Aber mindestens ebenso viele besitzen einen solchen Pfad nicht. Sie regulieren sich nur „sekundär“ oder sogar „tertiär“ durch ihre Süchte, zu viel Reden, zu viel Arbeiten etc.
Sie können Selbstregulation erreichen z.B. durch die Anwendung der Techniken aus "Tief berührt" (www tiefberuehrt.de) und Somatic-Experiencing (www somatic-experiencing.de). Sobald es dann ein wenig Primärregulation im Körper gibt, kann sie durch Meditation verstärkt werden.
Dies ist nicht die sofortige Lösung aller Probleme, denn es gibt in jedem von uns eine Menge aufzuarbeiten. Aber es hilft dir, konstant jeweils einen kleinen Schritt weiter voran zukommen. Über die Zeit gelangst du mehr und mehr zu dir selbst, kannst dich wieder spüren und mit dir wieder deine Bedürfnisse. Du bekommst Kraft und Lebensfreude zurück. Und sobald die eine oder andere kleine Hürde auf dich zukommt, kannst du sie endlich mit Meditation überwinden.
Denn wenn „Primärregulation“ möglich ist, ist auch Meditation möglich. Was vorher nur eine Art „Zwang“ war, nämlich still zu sitzen und Löcher in die Luft zu glotzen bis der Gong ertönt, wird jetzt zu deinem Anker, der dich auf deinem Weg zur Selbstregulation stabilisiert. Die Stille der Meditation ist jetzt freiwillig – ja fast wie ein Genuss. Du setzt dich ganz freiwillig und voller Lust hin und beobachtest deine Gedanken, deine Empfindungen, spürst in deinen Körper. Du würdest sogar etwas anderes dafür absagen, sogar Fernsehen.
Weißt du den Wert von Meditation zu schätzen?
Herzlichst Oliver Unger