Neuroaffektive Regulation und Meditation –
wie beeinflussen sie sich gegenseitig und wie können sie sich unterstützen.
von Oliver Unger -
Der Meditationsmuffel
Viel gepriesen im Zusammenhang mit Selbsterfahrung wird die Fähigkeit zur Meditation. Eine Menge verschiedener Vorstellungen kreisen um diesen mythosähnlichen Begriff. „Du musst meditieren. Das hilft, dich zu entspannen“, wird oft gesagt. Aber hilft es wirklich dabei, sich zu entspannen?
Forscher haben in einem Versuch herausgefunden, dass es eine Art „Meditationsareal“ im Gehirn gibt, welches zuständig ist dafür, dass wir uns entspannen können und auch bei Belastung nicht so schnell aus der Fassung geraten. Dieses Areal wird durch Meditation trainiert und dehnt sich aus.
Soweit so gut. Es bleibt die Frage, was ist Meditation?
Ist es bloß das Herumsitzen und Löcher in die Luft starren?
Oder ist dafür erforderlich, die Augen zu schließen?
Muss Meditation im Schneidersitz (oder Lotussitz) stattfinden oder darf man dabei auch die Beine strecken?
Muss ich mir etwas dabei vorstellen oder mich auf etwas konzentrieren?
Und was ist mit den unaufhörlichen Gedanken, die ich sowieso nicht stoppen kann?
Und die wichtigste Frage: Wenn meditieren doch so toll ist, wieso machen es nicht alle?
Stell dir vor, du kommst nach einem langen Arbeitstag nach Hause. Auf der Autobahn hattest du Stau und der Parkplatz, der dir vom lieben Gott für heute Abend zugeteilt worden ist, liegt drei Häuserblöcke weit entfernt, so dass du durch den Regen zu deiner Wohnung stapfen musstest. Kurz: Du bist total abgenervt. Und dann setzt du dich nach dem Abendbrot in deine Meditation. Glaubst du, du kommst zur Ruhe, wenn du dich mit gradem Rücken im Lotussitz, die Augen geschlossen auf ein knirschendes Meditationskissen zwingst?
Wie kommt es, dass wir meditationsungeübten Westler uns lieber auf die Couch drappieren, den Fernseher anschalten und chipskauenderweise vor uns hindösen, statt in heller Wachsamkeit in die hochheilige (und offensichtlich äußerst nützliche) Meditation zu begeben?
Liegt es an unseren Gewohnheiten?
Liegt es an unserem mangelnden spirituellen Bewusstsein?
Oder hat man schlichtweg einfach etwas übersehen – ein bindendes Glied, das den Ausstieg aus dem Alltag ermöglicht und den Eintritt in einen meditativen Zustand ermöglicht?
Dieses bindende Glied nenne ich „Fähigkeit zur Selbstregulation“. Ohne, dass du jetzt schon genau verstehen musst, was das bedeutet, weise ich darauf hin, dass sicherlich der eine oder andere Meditierer sagt: „Aber genau das ist doch Meditation!“ Dennoch will diese Selbstregulation nach meiner Meinung als „vorbereitende Übung zur Meditation“ verstanden werden.
Eine andere vorbereitende Übung zur Meditation sind zum Beispiel die Übungen, die im Yoga praktiziert werden. Außerdem sind Mantras und andere intonierende Techniken Möglichkeiten, sich auf Meditation einzustimmen. Auch meditative Bewegungstechniken wie regenerierende Bewegungen (siehe www tiefberuehrt.de), Katsugen Undo oder Vipassana sind Wege, die wir beschreiten können, um letztlich in einem meditativen Zustand zu gelangen.
Fest steht, dass du nicht aus dem Sturm des Alltags heraus einfach auf Knopfdruck in echte Meditation verfallen kannst.
Sich hinsetzen und still sitzen bleiben, den Gedanken lauschen und dabei in einem wachen, aufmerksamen Zustand bleiben – so wie Meditation oft beschrieben und praktiziert wird - kann ohne diese Vorübungen für viele Menschen sogar eine sehr abschreckende Vorstellung sein. Sie werden durch diese Vorstellung (und vielleicht eine entsprechende Erfahrung) abgehalten, sich überhaupt in das Feld der Meditation einzuarbeiten und bleiben lieber beim Fernsehen.
Und das zurecht. Denn was geschieht, wenn du dich nach deinem stressigen Arbeitsalltag in Stille hinsetzt? Du erlebst ihn im Geiste noch einmal. Dein Erinnerungsvermögen, das dir sonst hilft, den Weg zu deinem Kühlschrank wieder zu finden, wird jetzt zum Feind: Es spielt dir einen Film vor, von dem du eigentlich froh warst, dass er vorbei ist. Im schlimmsten Fall hattest du einen Streit mit jemandem, der dir sehr wehgetan hat. Und sobald die Erinnerung daran wieder kommt, steigen auch die herausfordernden Gefühle wie Wut, Angst und Verletzung wieder in dir hoch. Der Einsturz der Twin-Towers in New York an 9/11, der über die Mattscheibe flimmert, scheint dann zunächst die bessere Alternative zu sein. Getrennt durch Glas und weiter weg, weil es in New York stattgefunden hat. Deine Gefühle hingegen, die wieder hoch kochen wollen, sind dann zunächst zu nah!
Dass gerade in einer solchen Situation, wie ich sie oben beschreibe, Meditation die tatsächlich bessere Alternative wäre, brauchen wir nicht zu diskutieren. Schließlich bietet die Meditation den Gefühlen und Erinnerungen DEN Raum überhaupt, damit sie verarbeitet werden können und uns eben NICHT mehr beeinträchtigen.
Doch weise Worte von noch weiseren Ratgebern bewirken hier gar nichts. Sie treffen grade an diesem Punkt meist auf Widerstand und Ablehnung - erschaffen aus der Ahnung, dass die Meditation zu viel Konfrontation hervorrufen würde. Menschen stecken sich eben lieber eine Zigarette an, essen tafelweise Schokolade oder Pommes und lassen sich von ablenkenden Manövern wie Fernsehen oder Small-Talk von sich selbst wegreißen. Also, was tun?
Herzlichst Oliver Unger
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