Der Irrtum der entspannenden Wirkung von Reiki und Co.
von Oliver Unger
- Ein kleiner Ausflug in Berührungsarbeit im Feld von Spannungsdynamik im Körper...
„Berührung versetzt uns in einen entspannten Zustand“, dies ist die gängige Meinung. Und in vielen Fällen trifft dies auch zu. Doch dieser entspannte Zustand bringt sehr schnell Erinnerungen hervor, die die Aktivität der Sympathischen Nerven anregen. Ist die Selbstregulation des vegetativen Nervensystems eines Menschen gut etabliert, stellt dies kein Problem dar – ganz im Gegenteil.
Alte Erinnerungen, vergangene Spannungszustände und andere im Körper und im Gehirn gespeicherten Inhalte können hervor geholt und aufgelöst werden. Sie steigen auf, wie Luftblasen (freigesetzte Energie) in Wasser (im Körper), gelangen an die Oberfläche und zerplatzen an der Oberfläche. Wenn du selbst mit Reiki und Co. Arbeitest, kennst du diesen Effekt. Du berührst deinen Klienten, seine Spannungen lösen sich auf und breiten sich wie eine Art „Nebel“, „Watte“ oder ähnliches im Raum, in dem ihr arbeitet aus – ein Zeichen, dass die Luftblase an der Oberfläche geplatzt ist. Dieses Gefühl ist für Euch beide intensiv und erleichternd, fast sogar erfrischend- der Dreck ist raus.
Doch es gibt noch eine zweite Variante, in der die Luftblasen zwar aufsteigen, jedoch nicht an der Oberfläche zerplatzen. So „schäumt“ der Klient sozusagen innerlich auf. Wann geschieht so etwas?
Ein Klient, dessen nervöse Selbstregulation nicht gut etabliert ist, hat keine „Oberfläche“, an der seine Luftblasen zerplatzen könnte.
Die Oberfläche ist mit einer zähen Schicht überzogen. Physiologisch bedeutet das, dass seine Werte-, Referenz- oder Glaubenssysteme im Verstandesteil des Gehirns verhindern, dass aufsteigende schwere, negative und blockierende Bewusstseinsinhalte losgelassen werden. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Klienten, die sehr sensitiv oder traumatisiert sind. Trauma durch Unfall, Gewalt, Medizinischen Eingriff, Entwicklungstrauma usw. erzeugen manchmal solch starke energetische Ladungen im Körper, dass diese Energie nicht einfach so losgelassen werden kann.
Dies geschieht durch einen erhöhten Spannungspegel im auslösenden Moment (Kampf-/Flucht-Reflex) und einen erhöhen Adrenalinspiegel, der oft nicht zu einem biologischen Ende geführt werden könnte. Die Energie bliebt „stecken“ und versucht sich in Form anderer körperlicher oder psychischer Symptome zu entladen. Ähnlich verhält es sich mit Menschen, die sensitiv, aber vordergründig nicht traumatisiert sind. Die Flut ihrer Wahrnehmungseindrücke überfordert ihr Nervensystem derart, dass sie sich als Schutz zunächst eine „undurchlässige“ Wasseroberfläche zulegen. Dies schient mir ein Phänomen der modernen Zeit zu sein. Die Selbstregulation der meisten Menschen ist auf diese Weise gehemmt. Und da wir voneinander lernen, lernen wir auch gelegentlich zunächst die „Irrwege“.
Eine gut etablierte Selbstregulation würde die „Wasseroberfläche“ wieder durchlässiger machen, so dass aufsteigende Luftblasen sowohl bei traumatisierten als auch bei sensitiven Menschen (die häufig durch die Menge ihrer Eindrücke „traumatisiert“ sind) wieder die Möglichkeit hätten, ihre sympathische Spannung zu regulieren.
Doch zurück zur Berührungsarbeit. In den oben genannten Fällen bleibt die Spannung im Körper. Blockierende, schwere Bewusstseinsinhalte tauchen aus dem Unbewussten auf, der Energiepegel im Körper steigt, er „schäumt“ auf. Fachlich korrekt würde man sagen, er dissoziiert. Statt des gewünschten Effekts der Entspannung und Lösung ist der nicht vollendete Lösungseffekt Behandlung für das Nervensystem des Klienten derart belastend, dass er sich unbewusst entscheidet, aus dem Kontakt mit seinem Körper zu gehen. Der Parasympathicus reguliert gegen die starken Spannungszustände an. Leider fühlt sich der Klient hierdurch letztendlich entspannt, obwohl er innerlich fliegt.
„Hier könnte man doch erden“, ist der Einwand, den ich in meinen Kursen immer wieder höre. Die so genannte Erdung bedeutet für den Klienten, dass er gezwungen wird, in die körperliche Präsenz zurückzukehren und sich seinen starken Überspannungen zu stellen. Du verbietest ihm seinen natürlichen Fluchtimpuls. Das ist so, als würde jemand vor dir stehen, dir Gewalt androhen und deine Mutter sagt dir: „Bleib stehen. Das musst du aushalten!“ Vielleicht spürst du, welch erschreckenden Effekt dies hat. Genauso grausam wirkt das auf Klienten ein und kann dazu führen, dass er nie wieder eine Behandlung haben möchte, weil es sich so unangenehm anfühlt. Damit ist also nichts gewonnen.
Also was tun?
Wenn du während der Behandlung den Raum hast, achte drauf, dass zunächst die Selbstregulation des Klienten wieder in Gang kommt (die Wasseroberfläche das Zerplatzen von Blasen wieder zulässt), bevor du lange, ausgedehnte Energie- und Entspannungsbehandlungen mit dem Klienten ausführst.
Vermeide so lange zu starke Erregungen des Sympathicus, bis der Klient während der Behandlung Entladungsreaktionen zeigt.
Je mehr die Selbstregulationsfähigkeit im Körper ausgeprägt ist, desto intensiver und effektiver kannst du später mit ihm arbeiten.
Herzlichst Oliver Unger