Leben ist als Freude gedacht!
von Gerd Bodhi Ziegler -
Leben ist als Freude gedacht!
Alles Wesentliche in unserem Leben steht in einem direkten Zusammenhang mit der Erfahrung von Glück und Freude. Vielleicht hast auch du dich schon irgendwann einmal gefragt: „Das, was ich bisher kennengelernt, gelebt und verwirklicht habe, kann doch nicht alles sein! Das Leben muss doch noch mehr mit mir vorhaben!
Es muss doch etwas geben, wofür sich jeder Einsatz lohnt! Ich will und kann mich nicht einfach zufriedengeben mit meiner derzeitigen Lebenssituation. Ich will mehr, ich will weiter, ich will etwas entdecken und erreichen, das weit über die Welt meines jetzigen Lebens hinausführt.“
Obwohl wir nicht sicher sein können, dass es dieses ganz andere tatsächlich gibt, sehnt sich doch ein essenzieller Teil in uns unaufhörlich danach. Wir haben es bereits in seltenen außergewöhnlichen Augenblicken erfahren und kennen Momente der Erfüllung und vollkommener Freude.
Trotz der vielen Zweifel, die sich immer wieder aufs neue melden mögen, weiß etwas in uns, dass es unser Geburtsrecht ist, immer öfter und länger an diesem freudevollen Sein teilzuhaben und in Zuständen von Glück und Erfüllung zu verweilen.
Immer mehr Menschen können in ihrem Inneren diese Gefühle und Gedanken wahrnehmen, als eine innere Stimme, die unüberhörbar lauter und deutlicher wird. Wir sind nicht immer begeistert, sie zu hören, denn sie strebt nach neuen, unbekannten Welten.
Sie entspringt stets einer inneren Unruhe, einer gewissen Unzufriedenheit mit dem, was ist. Sie stellt in unbequemer Weise Althergebrachtes in Frage und nimmt unseren Gewohnheiten ihre Selbstverständlichkeit.
Wenn wir unser Leben daraufhin prüfen, welche Momente, welche Erfahrungen von Bedeutung waren, so werden wir bei genauer Betrachtung feststellen, dass sie alle etwas mit Erfüllung,
Dankbarkeit, Hingabe und Freude zu tun hatten. Das schließt auch schmerzhafte oder mühevolle Erlebnisse und Lernprozesse mit ein. Denn Mühe, Kampf und Schmerz lohnen sich nur in einem weiteren Kontext von etwas, das uns Freude macht, von etwas, wofür es sich lohnt zu arbeiten, sich hinzugeben.
Solange wir nach Wegen suchen, sollten wir uns bewusst machen, wohin wir letztendlich gelangen wollen. Es geht also nicht nur um kurzfristige Erfolgserlebnisse, die vergänglich sind und uns damit unfrei machen, sondern um ein Glück, das nicht mehr ausschließlich von äußeren Bedingungen abhängt.
Der Weg eines jeden Menschen zu Glück und Erfüllung ist absolut einzigartig und kann mit keinem anderen verglichen werden. Dennoch gibt es so etwas wie grundlegende Ausrichtungen, die jeweils einer bestimmten Gruppe von Menschen, die in ihrer Individualstruktur Gemeinsamkeiten aufweisen, von Nutzen sein können.
Deshalb ist es gut, dass unterschiedliche Wege angeboten werden und den Suchenden zur Verfügung stehen. Je offener ein Weg ist für die Erfordernisse des Lernens, je flexibler er auf die persönlichen Bedürfnisse der Menschen eingeht, je weiter das Spektrum der Erfahrungsmöglichkeiten gespannt ist, desto zahlreicher werden Menschen ihn für bestimmte Entwicklungsschritte in Anspruch nehmen.
Der Weg der Freude knüpft an angenehme, beglückende Erfahrungen an, die jeder Mensch in der einen oder anderen Weise aus seinem Leben kennt. Solche Momente sind unverzichtbare
Nahrung für die Seele. Ohne solche Erlebnisse könnte kein Mensch existieren. Durch sie erst spüren wir, dass es sich lohnt zu leben. Sie sind ein unersetzliches Lebenselexier. Mangelt es
an Augenblicken des Glücks, der Zufriedenheit, wird ein Mensch krank, depressiv und beginnt zu sterben.
Unglückliche Menschen altern nachweislich wesentlich schneller als solche, die häufig Gefühle des Glücks empfinden. Warum? Weil jeder Augenblick von Lebendigkeit untrennbar mit Freude verknüpft ist. Je größer, kraftvoller und umfassender unsere Lebendigkeit, desto unmittelbarer unsere Bereitschaft zur Freude. Freude ist ein Ausdruck überschäumender Lebendigkeit.
Ist es nicht bemerkenswert, dass es so etwas wie eine Steigerung von Lebendigsein gibt? Nach unserem üblichen Sprachgebrauch ist jemand entweder lebendig oder tot. Doch wenn wir
genauer hinsehen, erkennen wir, dass unser Menschsein eben nicht darauf beschränkt ist, lediglich in einem Körper zu existieren. Dies wäre nur eine sehr rudimentäre Form des Lebendigseins. Bloß zu überleben, zu vegetieren bedeutet noch nicht, wirklich zu leben.
Daher sagen die Mystiker aller Zeiten, dass es für den Menschen - will er zu seinem vollen Potential erblühen - nicht ausreiche, nur einmal aus dem Mutterschoß geboren worden zu sein. Erst wenn wir viele Male emotional und mental sterben und geistig-spirituell wiedergeboren werden, leben wir wirklich und vollständig.
Leben ist als Freude gedacht! Lebendigkeit und Freude gehen Hand in Hand. Wer dieses Urgesetz des Lebens nicht versteht und anerkennt, hat keine Chance, das Mysterium seines Selbst je zu ergründen. Das ist wohl eine der Hauptursachen, warum so viele Versuche der Vergangenheit, auf lebens- und freudeverneinenden Wegen Transzendenz zu erreichen, gescheitert sind.
Sie waren bestenfalls notwendige Erfahrungen, um Sackgassen kennenzulernen. Wer mit Hilfe von Askese, Angst und Gier das Himmelreich erzwingen will, muss schließlich einsehen, wie sich trotz aller Bemühungen Leid, Unglück und Unterdrückung immer wieder durchsetzen. Keine noch so einleuchtende Ideologie kann je befreien, wenn sie sich gegen universelle Gesetzmäßigkeiten stellt. Diese allgegenwärtigen Gesetze können nicht von uns intellektuell konstruiert werden.
Der einzige Weg sie kennenzulernen, besteht im fortgesetzten Erforschen der Räume und Dimensionen, die wir nur in jenen Momenten in uns vorfinden, in denen das andauernde Geplapper unseres Verstandes zur Ruhe kommt.
Nicht alles, was wir dabei erfahren, kann auch in Worte gefasst werden, denn Sprache eignet sich vorwiegend dazu, lediglich die Oberfläche des Seins, die äußere Welt zu beschreiben. Doch was immer aus einer meditativen Innenschau in Begriffe unseres Tagesbewusstseins übertragen werden kann, trägt in sich die Autorität einer übergeordneten Wahrheit.
Jeder Mensch möchte glücklich sein. Das Streben nach immer höheren Formen von Glück ist einer der gemeinsamen Nenner, der die Menschheit in ihrer Evolution vorangetrieben hat. Ohne dieses Vorwärtsdrängen wären Wachstum und Fortschritt nicht denkbar.
Auf den ersten Ebenen des Suchens und Strebens ist ein Mensch immer nach außen orientiert. Eine Fülle von Urbedürfnissen, Instinkten, Trieben drängt nach Befriedigung. Das Baby macht die Urerfahrung, dass alles, was es zum Leben braucht, entweder ausreichend oder mangelhaft von außen durch die Mutter, die Bezugspersonen und die Umwelt bereitgestellt wird.
Bekommt ein Kleinkind die Nahrung, die es auf körperlicher, emotionaler und seelischer Ebene braucht, so wird es in der Lage sein, so etwas wie ein Urvertrauen und eine positive Erwartung dem Leben gegenüber zu entwickeln.
Fehlt jedoch in den frühen Stadien des Lebens diese umfassende, nährende Zuwendung, so wird in der Regel diese ursprüngliche Erfahrung von Mangel Spuren von Misstrauen, Urangst und Zweifel an der liebevollen, unterstützenden Grundqualität des Lebens hinterlassen.
Diese ursprünglichen Prägungen wirken sich immer auf die Persönlichkeit eines Menschen aus, und sie bestimmen auch im späteren Leben seine Haltung und Strategien gegenüber der Umwelt. Solange unsere Wahrnehmung des Lebens überwiegend außenorientiert ist, hat die Schicht unseres Menschseins, die wir Persönlichkeit nennen, vorrangige Bedeutung.
Sie ist gewissermaßen die äußere Form, die aufgrund ihrer Erfahrungen Eigenschaften entwickelt hat, die man je nach persönlichem Standpunkt als gut oder schlecht, liebenswürdig oder hässlich, vorteilhaft oder nachteilig bewerten kann.
Das Streben nach Glück wird eine ausschließlich außenorientierte Dimension haben, solange ein Mensch nicht zu der Erkenntnis gelangt, dass Freude zwar durchaus durch äußere Ereignisse ausgelöst werden kann, jedoch in Wirklichkeit eine innere Seinsqualität darstellt.
Dies erkennen wir zum Beispiel deutlich, wenn wir die Erfahrung machen, dass manche Geschenke des Lebens, die uns noch vor einigen Jahren in helles Entzücken versetzten, uns auf einmal völlig belanglos erscheinen. Wir können überall auf Menschen treffen, die im Außen alles im Überfluss besitzen, alles haben, aber unglücklich und seelisch krank sind, weil sie ihr Sein noch nicht berühren.
Trotz dieser allgegenwärtigen Beispiele im eigenen Leben sowie im Leben unserer Mitmenschen, kommen nur sehr wenige zu der grundlegenden und lebensverwandelnden Erkenntnis, dass Glück und Freude unabhängig von äußeren Gegebenheiten als innere Seinsqualität entwickelt werden müssen, wenn wir nicht ein Spielball äußerer Bedingungen und Geschehnisse bleiben wollen. Wir sollten, um zur Ruhe zu kommen, das Glück dort suchen, wo es tatsächlich zu finden ist.
Mit dieser Erkenntnis betreten wir den Weg einer spirituellen Suche. Spiritualität ist Bewusstsein unserer selbst in Harmonie mit dem Universum. Eine spirituelle Ausrichtung bedeutet keinesfalls, sich vom äußeren Leben zurückzuziehen.
Ganz im Gegenteil! Indem wir die Erscheinungen der äußeren Welt als Auswirkungen unseres Bewusstseins, unseres Denkens und Handelns, als Reflexion unseres Inneren erkennen, erhält unsere Beziehung zu allem, was uns umgibt, eine neue Qualität. Anstatt weiter zu manipulieren, werden wir anfangen zu lieben, anstelle von Anklage und Kampf treten Selbstverantwortung und Kreativität.
Glücklichsein geht mit Bewusstseinserweiterung einher, Unglücklichsein verursacht hingegen eine Bewusstseinsverengung. Im Zustand des Glücks und der Freude erweitert sich unser Energiefeld auf natürliche Weise. Wir sind offen und entspannt; wir feiern unser Dasein. Damit treten wir in immer höhere, erweiterte Bewusstseinszustände ein.
Die Erfahrung, über unsere Probleme hinauszuwachsen und eins zu werden mit unserem Inneren, kann als ekstatisch bezeichnet werden. Ekstase ist nicht nur einigen Mystikern vorbehalten. Sie ist ein Potential, das in uns allen schlummert.
Wir können Ekstase leicht selbst erfahren, wenn wir bereit sind, für eine kurze Zeitspanne die festgefügten Bewertungen unseres rationalen Verstandes beiseite zu lassen. Dies eröffnet einen neuartigen Weg des Lernens und Wahrnehmens.
Der Grund, warum Menschen diese neuen Möglichkeiten des Lernens vermeiden, liegt gewöhnlich in dem Bedürfnis, die Persönlichkeit in ihren gewohnten Strukturen zu schützen. Manchmal ist dieser Schutz rational begründet, häufiger jedoch ist dieses Bedürfnis sehr unbestimmt.
Mit einem eingeschränkten Bewusstsein sind wir viel zugänglicher für Unglück. Unser Energiefeld schrumpft; wir sind von unserer Wahrheit abgeschnitten. Wir kämpfen um unsere Existenz. Wir sind im Zwiespalt, im Konflikt mit uns selbst.
Bewusstseinserweiterung hingegen bedeutet Gewinn an Weite und Freiheit und damit wachsendes Glück.
Der Text ist ein bearbeiteter Auszug aus meinem Buch „Vision der Freude“ (erschienen 1992).
Herzlichst
Gerd Bodhi Ziegler
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