Spiele. Kinder lieben sie. Den ganzen Tag spielen, ein Privileg, das scheinbar nur ihnen Teil wird.
Dabei spielen wir alle. Den ganzen lieben langen Tag.
Wir spielen den muffigen Angestellten, der viel lieber etwas anderes machen würde, als Opfer seiner Umstände aber an seinem Platz verharren muss. Wir spielen die beleidigte Leberwurst, weil der Angebetete uns versetzt hat. Wir weinen Tränen über den Verlust an der Aktienbörse. Und wir fluchen, weil wir den Bus verpasst haben und spielen so den wütenden „Immer passiert das mir!“
Ja, wir spielen, immerzu.
Nun wäre das ja nicht schlimm, wenn wir ganz bewusst spielen würden. Würde ich erkennen, dass es nur ein Spiel ist hier auf dieser riesen Theaterbühne, würde ich die Dinge nicht so ernst nehmen. Ich könnte lachen, es belustigend finden, dass ich mich gerade schon wieder so aufrege. Ich fände es interessant, dass ich wegen so einer Begebenheit in Tränen ausbreche. Ich könnten aufhören, dieses nervige Spiel zu spielen und mich für ein anders entscheiden. Das alles könnte ich tun - wenn ich verstehen würde, dass ich spiele.
Dann gibt es da aber auch noch eine weitere Komponente: das Gewinnenwollen.
Wir alle kennen den Klassiker: „Mensch ärgere dich nicht!“ Ja, zig Mal gespielt. Die Sechs würfeln, raus dürfen. Vorrücken. Hämisch den anderen schmeißen. Aufjaulen, wenn man selber geschmissen wird, am schlimmsten kurz vor dem Einrücken ins Ziel. Vier Menschen, die alle gewinnen wollen. Nur damit am Ende einer gewinnt. Das wäre auch kein Problem. Würde das nicht automatisch bedeuten, dass auf einen Gewinner vier Verlierer kommen. Mein Kampf, der mich gewinnen lässt, bringt drei Verlierer hervor. Eine irgendwie ungleiche Rechnung. Praktisch sieht das dann so aus, dass ich mich freue, weil ich ein knallbuntes T-Shirt für nur 10 Euro kaufen konnte. Ein wahres Schnäppchen! Und ich strahle. Die Gewinnerin des Tages bin ich, juhu! Dafür haben andere verloren. Der kleine Junge zum Beispiel, der dafür knietief in Chemikalien stand, um das T-Shirt mit giftigen Farbstoffen einzufärben. Die Näherin, die für Dumping-Löhne 18 Stunden am Tag an Nähmaschinen sitzt, damit ich das alles so billig haben kann - weil sie noch billiger ist als automatische Maschinen. Und der Feldarbeiter, die Pestizide auf die Baumwollfelder sprüht und das alles dabei selber einatmet, Tag um Tag, damit die Baumwolle auch billig sein kann, weil so wenig wie möglich dem Ungeziefer zufällt. Ja, ich habe gewonnen. Scheint es. Im Kampf um den globalen Sieger bin ich die Große hier und die anderen haben eben Pech gehabt. Schön ist es auch, mir einzureden, dass sie doch auch gewinnen, alle Drei, weil sie Geld damit verdienen dürften und sonst hungern müssten. Eine zweifellos großartige Strategie, um meine Schuldgefühle gar nicht erst aufkommen zu lassen. Applaus, ganz dolle.
Was ich aber nicht sehen kann oder will, ist, dass auch ich verliere bei meinem Sieg. Denn ich mag sehr billig etwas vermeintlich Schönes erworben haben. Doch das Gift und der Schweiß von der anderen Seite der Welt steckt unauslöschbar in diesem T-Shirt, das ich nun Tag um Tag auf meiner Haut trage. Mein Sieg ist es, der mich Stück um Stück vergiftet. Arsen und Spitzenhäubchen, zart einsickernd auf meiner Haut.
Wo einer aus Berechnung und Kampfeslust gewinnt, wird immer jemand verlieren müssen, zwangsläufig. Nicht umsonst sind Fußballspiele, die unentschieden enden, meist irgendwie unbefriedigend. Außer, wenn eine kleine Mannschaft gegen eine große es erzielt. Dann kann auch das ein großer Sieg sein für die Kleinen und ein großer Frust für die Großen.
Und wenn ich einmal genauer hinsehe, dann erkenne ich, dass ich ihn Wahrheit gar nicht gegen andere spiele, sondern immer nur gegen mich selbst. Ich kämpfe, immer wieder auf’s Neue, gegen das wahre Selbst, die Wahrheit und meine Verbindung zum göttlichen Ganzen. Mein Ego gewinnt und macht mich glauben, dieser Sieg wäre wahr. Doch wer verliert, das bin dreifach ich. Wäre es da nicht viel schöner, das „Mensch, ärger dich nicht!“ einzutauschen gegen ein anders Spiel? Wie wäre es mit „4 gewinnt“? Ach nein, da verliert ja auch einer. Dann eben ein neues Spiel: „4 gewinnen!“ Da es bei den Vieren mit im Boot ist, könnte das ja sogar meinem Ego gefallen. Sogar ausgesprochen gut. Und was gibt es dabei zu gewinnen? Kindliche Unschuld, Freude am Sein, zeitloses Genießen und Spaß am Spiel. Längst alles schon da. Endlich wieder zu spüren.