Wirken politische Proteste? Occupy Wall Street-
Ein Kommentar von Oliver Steimel
Die Maske des Guy Fawkes
15.10.2011. Ausgehend von der Occupy Wall Street Bewegung in den USA seit diesem September, gehen Menschen auf der ganzen Welt, allein in Deutschland 40.000, auf die Straße und demonstrieren gegen soziale Ungleichheit, die Macht der Reichen, Politik, Banken und Wirtschaft. In Großstädten wie Frankfurt, Hamburg und Köln zelten sie und protestieren vor der Europäischen Zentralbank, der Nordbank und der Deutschen Bank. Und, wie der Held im Film „V wie Vendetta“, tragen viele die Maske des Guy Fawkes. Aber wer steckt eigentlich hinter dieser legendären Maske? Ein heldenhafter Revolutionär, ein Humanist, der für Gleichberechtigung und Emanzipation mit seinem Leben eintrat, so wie es der Film in der Anfangsszene suggeriert? Nein. Der Brite Guy Fawkes war Katholik und Offizier. Er war 1605 am versuchten Putsch in England als Sprengstoffexperte beteiligt. Die Motivation für diesen Plan war nicht humanistischer, sondern religiöser Natur und gegen die Unterdrückung des Katholizismus in seinem Heimatland gerichtet. Dennoch scheint diese Geschichte eine starke symbolische Kraft zu besitzen, nicht nur bei den jährlichen Gedenkfeiern in Großbritannien, sondern auch bei der internationalen Occupy Bewegung.
Politische Hintergründe
Die Briten bezeichnen Guy Fawkes als den einzigen, der das englische Parlament jemals mit ehrlichen Absichten betreten hat. Wenn auch als Scherz gemeint, enthält er doch eine Wahrheit, die bedenkenswert ist. Was erhofft sich ein Mensch von der Wirtschaft und Politik, gegen die er demonstriert oder von den Banken, vor denen er protestiert? Was kann er sich erhoffen? Der Autor und heutige Menschenrechtsaktivist John Perkins hat 2004 das Buch „Bekenntnisse eines Economic Hitman“ über seine Rolle in einer internationalen Consultingfirma in den 1970er Jahren veröffentlicht. Dort beschreibt er detailliert die Verknüpfung der US-amerikanischen Politik, Geheimdienste und Wirtschaft in einer so genannten Korporatokratie. In deren Auftrag erstellte er bewusst völlig überzogene Wirtschaftsprognosen, um Länder in Asien, Lateinamerika und dem nahen Osten durch riesige Projekte in Schulden zu treiben und sich so politische Loyalität und Zugang zu deren Ressourcen zu sichern. Kooperierende Staatsoberhäupter werden belohnt, widerspenstige abgesetzt oder getötet, durch ein Attentat oder sogar durch militärische Interventionen wie die Irakkriege.
Internationale Gültigkeit
Dieses Modell ist keineswegs auf die USA beschränkt. Es hat internationale Gültigkeit, wie die Dokumentation „Let`s make money“ von Erwin Wagenhofer eindrucksvoll beweist. Durch seine zurück haltende Art ermutigt, plaudern dort europäische Manager ungezwungen über die wirtschaftlichen Mechanismen der Ausbeutung anderer Länder. Dies geschieht auf Grundlage unseres Banken- und Finanzsystems und durch die politisch forcierte Deregulierung. Bedauern über ethische Probleme oder fehlende Sozial-, Tarif- und Umweltstandards sucht der Zuschauer vergebens. Er findet im Gegenteil ein bewusst verknüpftes System aus Politik, Wirtschaft und Banken. Und eine Erklärung für den beginnenden Zusammenbruch der Eurozone in Ländern wie Spanien. Aufgeblähte und nur dem Profit dienende Immobilienprojekte zerstören die Costa del Sol und die spanische Wirtschaft gleich mit. Finanziert wird dies u.a. durch deutsche Rentenfonds. Golfplätze dienen der Aufwertung der Immobilien, von denen die spanische Bevölkerung überhaupt nichts hat. Sie verbrauchen dafür Wasser, das viele Menschen gut gebrauchen könnten. Wir klagen über den Widerspruch zwischen unseren politischen Vorstellungen und den institutionellen Entscheidungen, die ganz anders ausfallen, obwohl sie doch eigentlich den Wählerwillen umsetzen sollten. Wir klagen über eine Wirtschaft, die unseren Bedürfnissen zuwider läuft. Und doch für den Menschen da sein sollte. Aber sind die politischen und wirtschaftlichen Institutionen zum Wohle des Einzelnen gegründet worden?
Verschwörungstheorie oder Struktur der Fremdbestimmung?
Seit 1954 trifft sich die internationale Elite aus Wirtschaft, Politik, Militär, Hochschulen, Medien und Adel bei den Bilderberg-Konferenzen. Was wird dort besprochen? Das unterliegt der Geheimhaltung. Die Tagungshotels werden abgeriegelt und es werden keine Inhalte veröffentlicht. Obwohl es dabei um die internationale Wirtschaft und Politik geht. Auch wenn diese Treffen als reines Diskussionsforum deklariert werden, sollen sie zu weltpolitischen Ereignissen wie der deutschen Wiedervereinigung, der Gründung der EU, dem Irakkrieg von 2003 und der Liberalisierung der internationalen Märkte geführt haben. Wer würde die Verflechtung von Wirtschaft und Politik heute anzweifeln? Trotzdem halten wir Institutionen wie die Bilderberger lieber für harmlos und ihre Teilnehmer für Opfer von Verschwörungstheorien. Sowohl die Leitung der Europäischen Zentralbank wie auch des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfolgt regelmäßig durch Mitglieder dieser Gruppe. Wie John Perkins aus eigener Erfahrung bestätigen kann, beschuldigte 1998 auch die internationale Wohltätigkeitsorganisation Oxfam den IWF, die Armut, Krankheit und Arbeitslosigkeit in Ländern wie Thailand und Indonesien mit ihren Maßnahmen extrem verstärkt zu haben. In der Bilderberg-Konferenz ist die Europäische Union beschlossen worden. 2009 ist der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten, der aktuell europaweites Recht regelt und dabei unter anderem die Aufrüstung seiner Mitgliedsstaaten verlangt. Erst mehrere Monate nach Unterzeichnung wurden die Inhalte überhaupt erst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wir werden von politischen und wirtschaftlichen Institutionen fremdbestimmt und noch nicht mal mehr pro forma dazu befragt, wie wir leben wollen.
Repräsentative Demokratie ist keine Demokratie
Wir wählen unsere Interessenvertreter, die dann im Rahmen einer repräsentativen Demokratie
für uns handeln sollen. Unser Wahlrecht ist im Grundgesetz verankert. Es wurde 1949 von den drei westlichen Besatzungsmächten, dem Parlament und den Landtagen beschlossen. Die Bevölkerung hatte darauf keinen Einfluss, denn es gab keine Volksabstimmung. Es wurde also von oben bestimmt, dass unser Leben auch zukünftig und ganz legal von oben bestimmt werden wird. Weshalb sollten unsere Proteste dann etwas bewirken? Politik, Wirtschaft und Banken bilden einen eigenen Interessenkomplex. Sie zeigen, dass wir unsere Belange noch nicht wieder vollständig in die Hand genommen haben. Unsere Form der Demokratie ist keine Demokratie. Das zeigt bereits die Austauschbarkeit der politischen Parteien an der Macht. Wir haben vielmehr einen Entwicklungsprozess vor uns, in dem wir politische und ökonomische Fremdbestimmung überflüssig machen und lernen, unsere Belange selbst zu steuern. Wir hoffen immer noch, dass die Wirtschaft unsere Bedürfnisse befriedigen wird. Wir gehen immer noch zu politischen Wahlen in der Hoffnung, dass sich dadurch etwas ändert. Wir glauben immer noch an die Möglichkeit eines humanitären Krieges. Doch auch ein scheinbar funktionierendes, materielles System machte uns nicht zufrieden. Es hielt uns vielfach davon ab, unsere eigene Spontaneität und Kreativität angemessen zu würdigen und unseren Werten Ausdruck zu verleihen. Die heutige Krise lädt dazu ein, mehr in diese Richtung zu experimentieren, mit eigenen Formen von Demokratie und Solidarität, Arbeit und einem selbst bestimmten Leben.