Stress aus spiritueller Sicht
In stressigen Zeiten: keine Zeit für spirituelle Fragen?
Laut einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK für 2010 („Immer mehr Angestellte psychisch krank“, (handelsblatt.com, Artikel vom 19.04.2011) sorgt in Deutschland psychischer Stress für die längsten Fehlzeiten am Arbeitsplatz. „Immer mehr Arbeitnehmer in Deutschland leiden an… Burnout, Stress und totaler Erschöpfung… Allein mit Burnout waren vergangenes Jahr - hochgerechnet auf sämtliche gesetzlich versicherte Beschäftigte in Deutschland - knapp 100 000 Menschen krankgeschrieben… Seit 2004 seien die Burnout-Fehltage damit um fast das Neunfache auf insgesamt 1,8 Millionen angestiegen, so das Institut“ . Schon 2009 hatte die AOK festgestellt, dass psychischer Stress die häufigste Ursache bei Frühverrentungen darstellt. Der Leidensdruck ist so hoch, dass selbst in wirtschaftlichen Krisenzeiten Arbeitnehmer immer weniger bereit sind, sich krank zur Arbeit zu schleppen. Wer hat da noch Zeit für die Auseinandersetzung mit spirituellen Fragen wie: woher komme ich, wohin gehe ich, was ist der Sinn meines Lebens und wofür bin ich hier? Ich glaube, wir müssen uns sogar diese Zeit nehmen. Um Stress wirklich zu überwinden, ist es unabdingbar, sich diesen Fragen zu stellen. Die herkömmlichen Stresstheorien wollen uns glauben machen, dass Stress eben unvermeidbar sei und wir nur mehr oder weniger erfolgreich darauf reagieren können. Wenn wir unser Blickfeld aber erweitern, finden wir eine ganzheitlichere Sicht, die uns eine viel aktivere Rolle einräumt.
Auslöser = Reaktion: das Stress-Modell nach Hans Selye
Der Kanadier Hans Selye hat 1950 mit seiner Veröffentlichung „Stress“ den Begriff geprägt Sein Modell besagt: je stärker der Stress-Auslöser, umso stärker auch die entsprechende Stress-Reaktion („Stress-Intelligenz“, S. 13ff , Christoph Bamberger, Knaur, 2007). Das klingt zunächst einmal einleuchtend und ist es auch, wenn man sich vor Augen führt, welchen Situationen Selye und seine Mitarbeiter die Versuchstiere in ihren Laboren ausgesetzt haben, um die entsprechenden, negativen Stress-Symptome hervorzurufen. Stress ist eigentlich ein Begriff aus der Physik und beschreibt, wie stark Material einer Belastung ausgesetzt ist und wann es zerbricht. Den Tieren in Selyes Laboren wurden absichtlich Quetschungen, Verbrennungen, Vergiftungen, Knochenbrüche und schlimmere Qualen bereitet, um Stressreaktionen wie Magen- und Darmgeschwüre oder die Ausschüttung bestimmter Hormone beschreiben zu können („Nackte Herrscherin- Das Manifest gegen Tierversuche“, S. 122ff, Hans Ruesch, Nymphenburger, 1984). Das auch heute noch in verschiedenen Varianten gültige Stressmodell, das nicht nur in den Büchern steht, sondern vielfach auch in unseren Köpfen vorherrscht, baut auf diesen so genannten Experimenten mit Tieren auf und- wurde gleichzeitig kaum hinterfragt auf den Menschen übertragen. Natürlich konnten diese Tiere nur passiv reagieren, sie wurden in einer Situation der Ohnmacht festgehalten.
Auslöser + Bewertung = Reaktion: Richard Lazarus
Richard Lazarus, ein amerikanischer Psychologe, hat 1974 mit seinem Modell den Automatismus von Hans Selye (Stress = Reaktion) kritisiert und zwischen die auslösende Situation und die folgende Reaktion einen individuellen Bewertungsprozess der betroffenen Person gesetzt: glaube ich, eine bestimmte Situation gut kontrollieren zu können und die dafür notwendigen Fähigkeiten zu besitzen, dann fällt meine Reaktion viel positiver aus als wenn ich mich der Situation hilflos ausgesetzt fühle. Lazarus sah also bereits, dass Stress individuell verläuft und wir als Menschen durchaus auf die Situation Einfluss nehmen können („Stress-Intelligenz“, S. 18, s.o.).
Gefühl und Verstand: Stress ganzheitlich betrachtet
Unsere beiden Gehirnhälften repräsentieren zwei wichtige innere Instanzen: die linke Hemisphäre den Verstand, die rechte Hemisphäre das Gefühl. Auch wenn diese Aufteilung wissenschaftlich umstritten ist, verfügt der Mensch zweifellos über diese Funktionen. Räumen wir beiden Aspekten den ihnen gebührenden Platz ein, dürfen sie in Harmonie arbeiten. Nach Neale Donald Walsh sind Gefühle die Sprache unserer Seele. Häufig jedoch neigen wir dazu, mit unserem Verstand unsere Gefühle zu kontrollieren. Wir verleugnen für uns wichtige Bedürfnisse und überhören unsere innere Stimme, die uns mitteilt, ob etwas für uns stimmig ist- oder nicht. Und das mit gesundheitlichen Folgen. Die Psychoanalytikerin Alice Miller sagte diesbezüglich: „Was uns krank macht, ist die Unterdrückung der authentischen Gefühle“ (Interview für das slowenische Magazin ONA, Juni 2005). Der an Burnout erkrankte Kreativdirektor einer Frankfurter Werbeagentur drückt es in einem Artikel des Spiegel Anfang 2011 so aus: „Ich bin fest überzeugt davon: es ist nicht der berufliche Stress, der einen krank macht, sondern die Verdrängung von Gefühlen.“ Im selben Artikel wird Stress als „Geißel der Industrienationen“ bezeichnet und damit auch auf unsere moderne Lebensweise in Bezug gesetzt („Ich verliere mein Selbst“, S. 13ff, Spiegel Wissen Nr. 1, 2011).
Der Mensch: ein spirituelles Wesen
Sind wir also dem Stress hilflos ausgesetzt? Handelt es sich dabei einfach um ein Opfer, das wir im Tausch für ein komfortables und sicheres Leben erbringen müssen? Hans Selye legt uns das nahe- wo Belastung, da eben Stress. Nach Lazarus haben wir zumindest noch durch unsere gedankliche Bewertung die Möglichkeit, die Auswirkungen von Stress abzumildern. Aber sind wir Tiere in einem Labor, oder Material in einem Experiment, aufgepeppt vielleicht noch durch eine gewisse, gedankliche Eigenleistung? Oder sind wir mehr als das? Schon in der Unterscheidung positiver – negativer Stress zeigt sich, dass wir mehr sind. Christoph Bamberger sieht positiven Stress als „Teil der Kraft, die uns … am Leben hält und …etwas zustande bringen lässt“ („Stress-Intelligenz“, S. 18, s.o.) . Dieser Kraft gegenüber steht die Kraftlosigkeit im negativen Stress, die Müdigkeit und Erschöpfung. Was uns aber stresst, ist häufig nicht einfach nur eine Belastungssituation, der wir nicht gewachsen sind. Wir sind mehr als unser Körper, wir sind Geist und wir sind Seele, mit den Worten von Willigis Jäger, Pater und Zen-Meister über das Menschsein: „Ich bin ein spirituelles Wesen, das diese menschliche Erfahrung macht“ (impuls4you.de). Stress ist ein Alarmsignal der Seele. Wenn wir glauben, wir wären unserem Leben ausgeliefert und könnten bestenfalls erfolgreich auf eine Situation reagieren, erliegen wir einer Illusion. Seit jeher verkünden unterschiedliche Religionen und spirituelle Traditionen, dass wir unser Leben selbst bestimmen und wir für unser Leben verantwortlich sind. Dabei handelt es sich um ein universelles Gesetz, eine Spielregel der Schöpfung. Robert Betz sagt über den Zusammenhang zwischen Stress und dieser universellen Regel: „Burnout ist vermeidbar, wenn der Mensch wieder begreift, dass er Schöpfer seiner Lebenswirklichkeit ist“ und sich das „Wissen um die Grundgesetze des Lebens“ ( „burn-out“- Nicht mit mir, Artikel von Robert Betz, robert-betz.de) in Erinnerung ruft.
Der Einfluss des Bewusstseins auf das Leben
Auch von wissenschaftlicher Seite mehren sich Hinweise auf unsere Fähigkeit zur aktiven Bestimmung unseres Lebens. „Es gibt eine Reihe neuer Erkenntnisse, wie das Bewusstsein unsere Welt beeinflusst“ („Fractal Time“, S. 201, Gregg Braden, Koha, 2009) , erklärt der Geologe Gregg Braden. In seinem Buch „Fractal Time“ beschreibt er zwei physikalische Experimente, die 1909 und 1998 stattfanden. Darin wurde nachgewiesen, dass die bewusste Beobachtung eines Experimentes bereits Auswirkungen auf das Verhalten der Elementarteilchen hat und: dass „der Einfluss auf das Geschehen“ mit der Anzahl seiner Beobachter steigt: je mehr Personen sich darauf konzentrieren, umso stärker verändert es dessen Ergebnisse. Bei den ersten so genannten Doppelspalt-Experimenten wurde festgestellt, dass durch zwei Spalte abgefeuerte Elektronenteilchen sich eben nicht nur wie Teilchen (z.B. wie Murmeln) verhielten, die auf dem dahinter angebrachten Schirm zwei Streifen entsprechend den Spalten hinterlassen würden. Die Elektronenteilchen hinterließen auf dem Schirm das gleiche Muster, das Wellen (z.B. Lichtwellen) zeigen, die sich im Flug hinter den zwei Spalten gegenseitig beeinflussen. Um heraus zu bekommen, warum die Elektronen nicht nur (beim Abflug) das erwartete Verhalten eines Teilchens, sondern (beim Weiterflug) das von Wellen an den Tag legten, wurde im folgenden an den zwei Spalten genau beobachtet, wie das geschehen konnte. Als die Elektronen jedoch so beobachtet wurden, zeigten sie plötzlich nicht mehr das Verhalten und Muster von Wellen, sondern nur noch von Teilchen und hinterließen das typische Muster, so wie es erwartet worden war: „der Beobachter brachte die Wellenfunktion nur durch seine Beobachtung zum Kollabieren“ („Physikalische Wechselwirkungen zwischen Materie und Bewusstsein entdeckt“, klaus-sedlacek.de, Artikel und Video, 27.10.2008).
Ausstieg aus dem Hamsterrad
Unsere Einflussmöglichkeiten auf das Leben sind also viel größer, als sich die meisten wahrscheinlich bis jetzt vorstellen konnten. Insofern reagieren wir auf eine Situation, die wir selbst hervorgebracht haben und für die wir selber die Verantwortung tragen. Wenn ich mich wie in einem Hamsterrad fühle, sollte ich mir klarmachen, dass ich nicht nur der Hamster bin, sondern auch das Rad aufgestellt habe, auf dem ich jetzt munter laufe. Gestresst bin ich, wenn ich auf eine Weise handle, die nicht oder nicht mehr mit meinen Bedürfnissen übereinstimmt. Wenn ich zu viele Dinge tue, von denen ich innerlich nicht überzeugt und schon gar nicht begeistert bin. Dadurch bringe ich nicht nur die übliche Kraft für eine Sache auf, sondern brauche eine vielfach höhere Energie, um immer wieder diesen inneren Widerstand zu überwinden. Dann wird aus Stress Dauerstress, Burnout, Depression. Symptome oder schon ausgewachsene Erkrankungen, die alles andere als angenehm sind, uns aber gerade dadurch auf etwas aufmerksam machen wollen, oder wie Kurt Tepperwein es formuliert: „Wer sich ein besseres Leben wünscht, sollte damit beginnen, sich und sein Verhalten zu überprüfen, denn die Lebensumstände sind nur ein Spiegelbild unserer inneren Wirklichkeit“ (Erfolg-Reich-Sein", S. 7, Kurt Tepperwein, Silberschnur, 2001). Bis wir aus dem Hamsterrad aussteigen und uns wieder auf unsere Rolle im kosmischen Spiel besinnen. Und das ist eine aktive Rolle! Dazu kann ich mir Fragen stellen wie: welche Gefühle lasse ich nicht zu, wonach sehne ich mich wirklich, was liegt mir am Herzen, was will gelebt und ausgedrückt werden? Wenn ich die so für mich gewonnenen Antworten umzusetzen beginne und in ein selbst bestimmtes Leben zurückfinde, handle ich wieder in Übereinstimmung mit meinem inneren Lebensplan. Ich finde aus der Kraftlosigkeit zurück in meine Kraft, meine Seele muss keine Alarmsignale mehr senden, die Stresssymptome können gehen.