Bewusstsein: Der verlorene Horizont - kosmisches Bewusstsein.
von Martinus -
Über Märchen, Intuition und kosmisches Bewusstsein - Die Wunder in der Welt der Märchen.
Im Alltag hört man oft das Wort „märchenhaft“. Wenn etwas als märchenhaft charakterisiert wird, meint man in Wirklichkeit, dass es übernatürlich oder mirakulös ist, es ist etwas von den Naturgesetzen Unabhängiges. In einem Märchen sind alle Dinge möglich. In ihnen kommen Feen mit Zauberstäben vor, mit denen sie Wunder vollbringen, oder der Geist aus der Lampe, der den Inhaber der Lampe in jeder Situation überlegen sein lässt.
Hier kommen Trolle und Trollfrauen vor, die ebenfalls im Besitz übernatürlicher Kräfte sind, mit deren Hilfe sie die Menschen verfolgen und sich an ihnen rächen können, genauso wie sie ihnen auch helfen können, wenn sie wollen. Hier gibt es Elfen, Kobolde, Heinzelmännchen und Gnome und hier ereignen sich die unglaublichsten Begebenheiten, die sowohl die Kinder als auch die Erwachsenen amüsieren, und die Kinder halten das alles vielleicht für die Wirklichkeit, während die Erwachsenen meinen, dass das Phantasie und Dichtung ist, die ihre Wurzeln nicht in der wirklichen Welt haben.
Die Welt der Märchen wurde von phantasievollen Menschen geschaffen und erdichtet
Aber woher stammen nun all die eigentümlichen Gedanken und diese ganze Reihe von Vorstellungen, die man in den Märchen antrifft? Man kann sagen, dass sie Produkte der Phantasie der Dichter sind. H.C. Andersen schuf ja eine ganze Reihe von verwunderlichen Märchen, und die alten Volksmärchen, die über Jahrhunderte von Mund zu Mund gegangen sind, bevor sie in unserer Zeit gesammelt und niedergeschrieben wurden, sind ja ursprünglich von phantasievollen Menschen erdacht worden.
Phantasie ist jedoch nicht genug als Erklärung der Fakten, die die Bewusstseinssphäre des Märchens ausmachen. Wir können wohl sagen, dass die Welt des Märchens nicht auf dieselbe Weise existiert wie die physische Welt. Die Welt des Märchens wurde von Menschen erschaffen und erdichtet. Aber woher holt sich die Phantasie des Dichters die übernatürlichen Wesen und Begebenheiten, sind sie bloß aus der Luft gegriffen?
Der Unterschied zwischen einer Novelle oder einem Roman und einem Märchen
Die physischen Erscheinungen in den Märchen sind auf der Grundlage des Eindrucks entstanden, den der Dichter aus der physischen Welt hat, die ihn umgibt. Wenn er Personen gut oder böse sein lässt, hasserfüllt oder liebevoll, dann ist das ja etwas, was er aus seinem täglichen Dasein kennt.
Er hat das Gute oder das Böse nicht erfunden, sondern nur die Variation von Hass und Liebe, die er im Märchen zum Ausdruck kommen lässt. Kein Dichter ist der Urheber des Prinzips des sogenannten Guten und Bösen, das ist etwas, was immer da war und immer da sein wird. Wenn der Dichter nur von Begebenheiten erzählt, die in der physischen Welt allgemeingültig sind, und in seiner Erzählung keine übernatürlichen Erscheinungen vorkommen, dann ist dies kein Märchen, sondern eine Novelle oder ein Roman.
Der Dichter hat in einem solchen Produkt frei mit Begebenheiten und Menschentypen jongliert, die er innerhalb seines physischen Horizonts erlebt und angetroffen hat. Er hat ebenfalls seine Phantasie benutzt, aber nur, um physische Verhältnisse in speziellen Variationen zu schildern.
Das Märchen ist jedoch eine Kombination von physischen Fakten und besonderen Variationen von geistigen Fakten, es ist eine Erzählung, in der verschiedene Horizonte einander überschatten. Der eine Horizont ist der physische, und der andere Horizont ist die geistige Welt. Die psychische oder geistige Welt ist ebenso wenig eine Erfindung oder Dichtung des Dichters, wie die physische Welt dies ist. Nur die Variationen und die verschiedenen Kombinationen, die er von den beiden Welten im Märchen darstellt, können seine Dichtung oder Erfindung sein, und die können natürlich mehr oder weniger gut sein.
Herzlichst Martinus
Aus dem dänischen KOSMOS, 1971
Zum ersten Mal im dänischen Kosmos Nr. 18, 1971 mit dem Titel: "Den tabte horisont" erschienen.
Übersetzung: Christa Rickus
© Martinus Institut 1981 www.martinus.dk