Yin und Yang
Yin 陰 und Yang 陽, zumindest das Symbol , kennt eigentlich jeder, und die Interpretationen sind sehr vielfältig, bisweilen sogar haarsträubend. Die einfachsten Erklärungen, wie weiblich-männlich, dunkel-hell, schwach-stark, Nacht-Tag, sind Bilder, die aber in unserem europäischen, faktenorientierten Denken nicht gerade zum Verständnis beitragen.
Eine andere grafische Darstellung zeigt in der Mitte des Wandlungskreises einen leeren, weißen Kreis. Dieser steht für TaìJí 太 極, den höchsten Uranfang, die Einheit allen Seins. Aus diesem Urgrund entsteht erst die Polarität von Yin und Yang. Diese ist zunächst einmal nur Polarität, ganz abstrakt und an keine Dinge oder Vorstellungen gebunden.
In der „Großen Abhandlung“ (das 5. und 6. Buch des YiJing, dem Buch der Wandlungen) heißt es: „Der Weg (Dao) gebiert den Anfang, das Ganze. Das Ganze gebiert die Polarität. Die Polarität gebiert das Verbindende, die Wiederholung. Die Wiederholung gebiert die zehntausend Dinge.“ Die „zehntausend Dinge“ sind alle Dinge, die Umwelt, die Mitmenschen, die Gesamtheit der Welt.
Das heißt, erst in der Verbindung der Polaritäten, in ihrer Beziehung zueinander entsteht das Leben, entsteht die Welt. Erst die Vereinigung von Mann und Frau bringt neues Leben hervor, erst im Zusammenspiel von Einatmen und Ausatmen, von Bewegung und Ruhe verwirklicht sich das Leben.
Erkennen wir den Weg, zeigt sich uns die Einheit.
Im Gehen des Weges müssen wir jeden Schritt neu entscheiden. Fortwährend stehen wir als Menschen am Scheideweg, müssen (be-)urteilen und unterscheiden. Das ist die Grundlage unseres Handelns. Wenn wir nicht wissen, ob wir nach rechts oder links gehen sollen, dann bleiben wir auf der Stelle. Es ist das Bild der Krise. Krise kommt vom griechischen „krisis“, die Entscheidung und meint eben jene Situation, wo wir mit unserem Wissen und unserer Erfahrung nicht mehr weiter wissen und den Schritt ins Ungewisse wagen müssen.
Yin und Yang sind Polaritäten, die in einer unauflöslichen Beziehung zueinander stehen. In dieser Beziehung wurde weiter differenziert um die „Zwischenstadien“ zu erfassen. So kann man unterscheiden zwischen vollstem Yang und nur noch wenig Yang, wo das Yin immer stärker wird. Für das Yin gilt dies entsprechend. Wenn wir z.B. daran denken das der Tag vollstes Yang und die Nacht vollstes Yin ist, dann sind die Übergänge, Morgen und Abend, eben diese kleinstes Yin (Morgen) und kleinstes Yang (Abend). Damit haben wir die sogenannten vier Bilder. Grafisch symbolisiert die durchgehende Linie das Yang und die unterbrochene Linie
das Yin. Die vier Bilder sind immer Yin-Yang-Paare, also zwei Linien zusammen.
Die Bewegung, die Wandlung ist in dieser Vorstellung immanent – von unten nach oben – und wir erkennen diese Kombination als kleinstes Yang. Daraus entwickeln sich mit einem zusätzlichen dritten Aspekt die acht Trigramme (BaGua), Dreier- Kombinationen von Yin und Yang. Diese wiederum werden verdoppelt zu dem 64 Hexagrammen (Sechser-Kombinationen) des YiJing, der grundlegenden chinesischen Kosmologie.
Der „Idee“ von Yin und Yang begegnen wir in allen Bereichen des chinesischen Lebens, sei es Medizin, Kampfkunst, Handwerk und Philosophie. Immer ist es als das Prinzip der Polarität zu verstehen. Erst mit dem Gegenteil, dem Gegenüber, dem Gegensatz wird eine Sache ganz. Alles Gute hat auch sein Schlechtes und erst wenn wir dies mit bedenken und einbeziehen, achten wir die Einheit allen Seins und können weise urteilen.
Das macht auch deutlich, dass die jeweiligen Positionen immer relativ sind, bezogen auf die Situation, den Ort und die Perspektive.
An dem Grundkonzept von Yin und Yang wird das systemische Denken der alten chinesischen Philosophie deutlich und nimmt schon viele „neuere“ westliche Denkansätze vorweg. Gerade heute, wenn wir erleben, wie sich die Fronten verhärten und fundamentalistische Strömungen an Stärke gewinnen, ist es hilfreich sich auf dieses Denken von Yin und Yang zu besinnen und zu erkennen, dass in allem „Schlechten“ auch etwas „Gutes“ zu finden ist, und dass Leben erst in der Begegnung, in der Verbindung entsteht.