Heirate Dich selbst: Radikale Selbstliebe
- Teil 1 -
von Veit Lindau -
Kennst Du Charlie Chaplins Stummfilm Moderne Zeiten? Er erzählt von Charlie, einem einfachen Mann, der versucht, in einer modernen Fabrik mitzuhalten und zu überleben. In der Fabrik arbeiten monströse, für den Betrachter regelrecht absurde Maschinen. Charlie steht am Fließband. Er muss immer schneller arbeiten, kommt nicht mehr hinterher und irgendwann wird er verrückt.
Der Film kritisiert die Industrialisierung und die damit einhergehende Entmenschlichung der Arbeit. Das Individuum wird uninteressant. Auch wenn heutzutage immer mehr menschenfreundliche Ansätze in der Bildung, der Wissenschaft und der Unternehmenskultur auftauchen, halte ich Chaplins Film nach wie vor für hochaktuell.
Er illustriert, warum wir uns überhaupt über Selbstliebe unterhalten müssen. Denn auch wenn eine primär leistungsorientierte Gesellschaft ohne Zweifel Fortschritt und Wohlstand hervorbringt, führt sie, wenn sich ihre Dynamik verselbstständigt, zur systematischen Selbstentfremdung des Menschen.
Wie hast Du zum Beispiel den heutigen Tag bis hierher erfahren? Hast Du achtsam von innen nach außen gelebt, oder hat das Außen Deinen Tag bestimmt? Konntest Du Dich frei und authentisch ausdrücken oder hast Du hauptsächlich auf Erwartungen und Verpflichtungen seitens Deiner Umwelt reagiert?
Ich bin mir bewusst, dass diese Fragen in vielen Ohren eher utopisch klingen. Die meisten Menschen stehen unter einem immensen Dauerdruck, derartige Überlegungen können sie nur noch als realitätsfern abtun.
Das kollektive Hamsterrad hat so eine wahnwitzige Schwungkraft entwickelt, dass wir nicht mehr dazu kommen, seinen Sinn grundsätzlich zu hinterfragen. Dient unsere gemeinsame Anstrengung wirklich dem Wohlergehen des Menschen oder bedienen wir ein selbstgeschaffenes Monster der Geschäftigkeit? Wissen wir noch oder wussten wir je, was wir wirklich-wirklich wollen?
Unser Selbstwertgefühl ist immer stärker an äußere Rückmeldungen gekoppelt: „Was ist richtig? Was ist sicher? Womit hat man Erfolg? Was bring die meiste Anerkennung?“ Bis auf wenige, sehr starke Naturen, die diesem hypnotischen Sog widerstehen können, entfalten wir uns nicht mehr natürlich, also von innen nach außen, sondern reagieren automatisch, von außen nach innen. Was wir wirklich wollen, tritt mehr und mehr in den Hintergrund und ist irgendwann gar nicht mehr abrufbar.
Berufliche Erwartungen, private Verpflichtungen, mediale Reize, massive Werbung – der ständige Handlungsbedarf an der Peripherie führt zu einer Vernachlässigung unseres sinnstiftenden Innenraums. So entsteht ein wesentliches Vakuum: Wir wissen, was wir zu erfüllen haben, aber nicht, was uns erfüllt.
Es gibt zwei Ausbruchmöglichkeiten aus diesem Gefängnis der Zwänge. Der eine wird, wie weiter oben schon beschrieben, unfreiwillig herbeigeführt, zum Beispiel durch eine Krise. Wenn wir den Job verlieren, der Partner uns sitzen lässt, wir körperlich schwer erkranken oder depressiv werden, dann brechen die Mauern von außen ein. All die Fragen, vor denen wir weggelaufen sind, dringen dann zu uns vor und wir sind gezwungen, uns ihnen zu stellen.
Doch wir müssen nicht auf diesen Crash warten. Es gibt auch einen sanfteren Weg in die Freiheit. Du kannst die Gefängnistür von innen öffnen, in dem Du Dich bewusst für radikale Selbstliebe entscheidest.
Im kommenden Artikel "Heirate Dich selbst" erkläre ich Dir „Warum nenne ich es radikale Selbstliebe?“
Herzlichst
Veit Lindau
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "Heirate Dich selbst" von Veit Lindau.