Bewusstsein heilt alle Wunden.
von Carmen Piltz -
„Bewusstsein heilt alle Wunden“
Normalerweise lautet der Ausspruch ja so: „Zeit heilt alle Wunden.“ Sicherlich spielt der Faktor Zeit eine große Rolle beim Ausheilen von emotionalen Verletzungen (wie ja auch bei physischen). Und natürlich gilt das auch für einen „räumlichen Abstand“, dass man sich beispielsweise eine Zeit lang von einem Menschen oder einer Gruppe zurück zieht oder bestimmte Orte eine Weile lang nicht aufsucht, die mit der Verletzung in direktem Zusammenhang stehen. Man vermeidet also aus Selbstschutz das, was die Wunde wieder „aufreißen“ könnte.
Viele Menschen machen allerdings die Erfahrung, dass auch lange zurückliegende negative Erfahrungen mit einen Schlag, wie ein akuter Auslöser, wieder tagesaktuell werden können, mit aller Wucht, mit aller Schärfe und mit allem alten Schmerz. Es stellt sich also die Frage, wie man solche Erlebnisse entkräften kann, oder anders gefragt: Was heilt wirklich alle Wunden?
Aus der Erfahrung meiner Praxis würde meine persönliche Antwort darauf lauten: Bewusstsein heilt alle Wunden. Ich möchte damit nicht andeuten, dass alles ganz einfach wäre, im Gegenteil.
Bewusstmachung hat sehr häufig auch mit unangenehmen Gefühlen zu tun, die durchlebt werden müssen, um sich von gewissen Mustern zu befreien oder indem man sich etwas über sich selbst eingestehen muss, was man lieber anders gehabt hätte oder bislang anders gesehen hat.
Es gibt unendlich viele Arten, Schweregrade, Zusammensetzungen und Entstehungsweisen von emotionalen Wunden oder Verletzungen, sodass es sicher kein Patentrezept geben kann. Aber ich denke, dass es für jede dieser Situationen für eine grundlegende und wahrhaftige Heilung wichtig ist, sie mit dem eigenen Bewusstsein zu durchdringen, um zu verstehen, warum und wie es dazu gekommen ist.
Und vor allem auch, wie man sich in Zukunft positionieren kann, um dahingehend „gewappnet“ zu sein. Denn es geht ja um Weiterentwicklung und seelisches Wachstum und nicht darum, immer wieder in dieselben Fallen zu laufen.
Es fängt schon damit an, sich eine Verletzung oder Kränkung überhaupt als solche eingestehen zu können. Viele tun sich (zum Beispiel aus Angst vor negativen Gefühlen – oder weil sie es so gelernt haben) schwer damit, solche Gefühle überhaupt zu zulassen und entscheiden sich lieber dafür, sie zu ignorieren oder zu verdrängen.
Manchmal tut man das auch (unbewusst) eine Zeit lang als Schutzmechanismus, weil man noch nicht genügend Kraft für die Verarbeitung hat. Was aber nicht bedeutet, dass der Schmerz nicht trotzdem unterbewusst da ist und sich unter Umständen bei Nichtbeachtung anderweitig Ausdruck sucht, beispielsweise durch eine körperliche Erkrankung.
Es ist also wichtig, sich selber ernst zu nehmen und Verletzungen auch als solche erkennen und zulassen zu können, um in der Verarbeitung -und später Weiterentwicklung des eigenen Selbstschutzes- voran schreiten zu können.
Auch bei zwischenmenschlichen Enttäuschungen lohnt es sich, die Situation mit Bewusstsein zu betrachten, um zu erkennen, wer sich warum wie verhalten hat und darüber vielleicht auch sogar Missverständnisse aufzuklären.
Es bringt einen in der Verarbeitung und beim Loslassen nicht weiter, wenn man einfach nur darauf beharrt „Der/Die hat mich schlecht behandelt.“ In dieser Haltung ist man passiv und in gewisser Weise auch der Verletzung ausgeliefert. Wenn man erkannt hat, dass man ungerecht oder inadäquat behandelt wurde, macht es mehr Sinn, sich zum Beispiel zu fragen:
Wie konnte diese Situation entstehen, wie habe ich und wie hat das Gegenüber dazu beigetragen?
Habe ich in Verantwortung und Selbstverantwortung alles unternommen, was ich hätte unternehmen können?
Wo habe ich mich selbst stehen lassen, bin ich nicht für mich selbst eingetreten?
Welche meiner Grenzen wurden überschritten ohne, dass ich es gemerkt habe oder in dem Moment verhindern konnte?
Welches Gefühl habe ich durch die Verletzung? Wut? Trauer? Verzweiflung? Scham? Inkompetenz? Entblößung? Verrat? (Wenn Sie Schwierigkeiten haben, Ihr Gefühl zu benennen, versuchen Sie erst zu erkunden, was das Gegenteil Ihres negativen Gefühls wäre? Z.B. Souveränität, Gelassenheit, Einverständnis, etc.)
Welche Kompetenz könnte ich mir aneignen oder in mir stärken, um in einer ähnlichen Situation ohne Verletzung/Enttäuschung zu bleiben oder rechtzeitig adäquat reagieren zu können?
Diese Fragen sind nur ein erster Ansatz und können natürlich weitergeführt und individualisiert werden. Sie möchten Anregung sein, Ihr eigenes Bewusstsein und Ihre eigene Reflektionskraft auch im Sinne des Selbstschutzes zu pflegen und zu nutzen, um bereits geschehene Verletzungen mit Bewusstsein im Kern zu heilen und Künftige schon im Vorfeld zu entkräften.
Herzlichst
Carmen Piltz