Glück: Wovon hängt unser Glück wirklich ab?
von Bodo Deletz -
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, möchte ich dich zu einem kleinen Gedankenexperiment einladen. Stell dir vor, eine junge Fee erscheint dir eines Nachts und bietet dir an, deine wichtigsten materiellen Wünsche zu erfüllen. Und zwar nicht nur drei, wie sonst üblich, sondern alles, was dir wirklich wichtig ist!
Die Sache hat nur einen kleinen Haken. Die junge Fee ist noch nicht ganz fertig mit ihrer Ausbildung. Sie kann zwar schon sehr schön materielle Wünsche erfüllen, doch es gibt eine kleine unerwünschte Nebenwirkung, wenn sie das tut. Sobald sie dir nämlich einen Wunsch erfüllt hat, bist du nicht mehr in der Lage, die Dinge oder Umstände, die du dir gewünscht hast, positiv zu beurteilen.
Da das sicherlich nicht so tragisch ist, wünschst du dir als erstes den tollsten Lebenspartner auf der Welt. Die junge Fee konzentriert sich einen Augenblick und schwups steht dein Soulmate vor dir und schaut dich voller Liebe an. Leider ist es dir wie angekündigt von diesem Augenblick an nicht mehr möglich, deinen Seelenpartner gut zu finden.
Dummerweise funktioniert natürlich deine Beurteilung für all die Eigenarten und Verhaltensweisen, die dir bei ihm nicht so besonders zusagen, weiterhin ganz normal. Du behältst also die schlechten, bekommst aber keine guten Gefühle mehr zu ihm. Aber das ist ja nicht so schlimm, denn für diesen Partner werden dich sicherlich unzählige Menschen ohne Ende beneiden.
Nach diesem überragenden Erfolg wünschst du dir mehr Geld, als du Zeit deines Lebens ausgeben kannst. Und auch dieser Wunsch wird augenblicklich erfüllt! Der einzige kleine Wermutstropfen besteht natürlich wieder darin, dass du das viele Geld und all das, was du dir damit kaufen kannst, nicht gut oder nicht gut genug finden kannst. Das ist schon alles. Kein allzu hoher Preis für unermesslichen Reichtum, oder?!
Deine neue luxuriöse Strandvilla wird dir also nicht gefallen oder dir nicht gut genug sein. Und mit allem anderen, was du dir mit deinem Geld kaufen kannst, wird es ebenso sein. Egal, ob du an deiner wunderschönen Poollandschaft liegst, am schneeweißen Strand spazieren gehst, dich von den Bediensteten deiner Luxusjacht verwöhnen lässt oder einen deiner tollen Sportwagen ausführst, du wirst das alles nie als gut oder gut genug ansehen können.
Aber, was soll’s?! Das ist immer noch besser, als in einem Reihenhaus oder gar einer Mietwohnung zu wohnen, von 9 bis 17 Uhr Tag für Tag arbeiten zu gehen, am Wochenende Freunde zu treffen und mit diesem spießigen Leben auch noch zufrieden zu sein.
Diese Erkenntnis lässt dich zu deinem dritten Wunsch greifen. Du wünschst dir eine vollkommene Gesundheit und bist sicher, dass du damit nichts falsch machen kannst. Augenblicklich verschwinden all deine Krankheiten. Dir ist bereits bewusst, dass du deine neue Gesundheit mit der Unfähigkeit zur positiven Beurteilung bezahlen wirst, aber in Anbetracht dessen, was du gewinnst, ist das ja ein bescheidener Preis.
Plötzlich stellst du fest, dass du seltsamerweise nicht in der Lage bist, dich gesund zu fühlen, und das, obwohl du dir doch eine vollkommene Gesundheit gewünscht hast. Du reklamierst also sofort bei deiner Fee.
„Leider ist die Beurteilung, gesund zu sein, eine positive Beurteilung“, erklärt dir die Fee. „Und da deine Gefühle ganz und gar von deiner Beurteilung abhängen, ist es dir natürlich nicht mehr möglich, dich gesund zu fühlen, obwohl du es natürlich bist. Tut mir leid!
Was mir weiterhin leid tut: Dein Gehirn nutzt dein Gefühl als Referenz für die Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Wenn dein Gehirn etwas nicht fühlen kann, hat es große Schwierigkeiten, es glauben zu können. Wenn das Gefühl mit dem Verstand nicht übereinstimmt, entstehen unweigerlich Zweifel. Die wiederum ziehen in der Regel Ängste nach sich.
Dein Gehirn wird deine Gesundheit daher von diesem Augenblick an unweigerlich ständig als gefährdet ansehen. Dass dein Verstand genau weiß, dass du gesund bist, nützt dir hier leider rein gar nichts, denn der Rest deines Gehirns außerhalb deines Verstandes lässt sich nur durch Gefühle beeindrucken. Um deine Zweifel und Ängste zu zerstreuen, müsstest du also in der Lage sein, deine Gesundheit positiv zu beurteilen, was ja leider nicht geht.
Und so tut es mir leid, aber wann immer du von einer Krankheit oder einem körperlichen Gebrechen hörst, wird dein Gehirn unweigerlich Angst bekommen, dass du diese Krankheiten auch bekommen könntest. Wann immer es in deinem Bauch rumort, wird dein Gehirn denken, dass dies ein Hinweis auf etwas Schlimmes sein könnte.
Das Einzige, was dies verhindern könnte, wäre wie gesagt eine optimistische Grundeinstellung hinsichtlich deiner Gesundheit, doch die würde ja eine positive Beurteilung deiner zukünftigen Gesundheit erfordern, was ja nicht möglich ist.“
„Ist ja auch egal“, entgegnest du zufrieden. „Hauptsache gesund!“
„Bestimmt hast du mit deinem nächsten Wunsch mehr Glück“, meint die Fee aufmunternd. „Ich kann dir alle materiellen Wünsche erfüllen, von denen du je geträumt hast.“
Begeistert von diesen tollen Möglichkeiten wünschst du dir ohne lange nachzudenken den ganz großen Erfolg, denn davon hast du immer geträumt. Sekunden später ist dein Wunsch erfüllt – natürlich erneut mit der Unfähigkeit, deinen Erfolg und alles, was damit zusammenhängt, als etwas Tolles, Gutes oder Bedeutendes anzusehen. Aber dafür wirst du berühmt und kommst ins Fernsehen! Was du ja leider nicht gut finden kannst - ich vergaß! Was bleibt, sind also die Schattenseiten des großen Erfolges, denn die kannst du natürlich ganz normal beurteilen.
So bemerkst du z.B. sehr schnell, dass du plötzlich richtig viele neue Freunde hast, die auf deiner Erfolgswelle mitschwimmen wollen und zuweilen ein wenig Geld brauchen.
Da du erlebt hast, dass Erfolg, Reichtum, der tollste Partner der Welt und eine vollkommene Gesundheit dich nicht glücklich machen können, besinnst du dich auf innere Werte und wünschst dir, der tollste Mensch auf der ganzen Welt zu sein – ein Universaltalent und Macher, dem alles gelingt, was er anpackt, ein super wertvoller Mensch, gut aussehend, edel, hilfreich und gut, der alles verkörpert, was du immer gut und schön fandest.
Im Null-Komma-Nichts ist dein Wunsch erfüllt - mit der Konsequenz, dass du das alles jetzt nicht mehr gut und schön finden kannst. Du kannst dich dadurch auch selbst nicht mehr positiv beurteilen. Du verlierst also deine Selbstachtung, dein Selbstwertgefühl, deine Eigenliebe und noch vieles mehr.
Die junge Fee eröffnet dir, dass sie nun langsam weiterziehen muss. Es gibt noch so viele Menschen, die darauf warten, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Und „Puff“ ist sie auch schon in einer Rauchwolke verschwunden und lässt dich mit deinem neuen Leben zurück!
(Alternatives Ende: Es erscheint die Ausbilderin der jungen Fee, ermahnt sie, diesen Unsinn zukünftig zu lassen und bietet dir an, all deine Wünsche wieder rückgängig zu machen.)
Wie dieses Gedankenexperiment aufzeigen sollte, erfordert Glück zwei bedeutende Voraussetzungen: schöne Lebensumstände und die positive Beurteilung dieser Lebensumstände. Beides ist gleichermaßen wichtig, denn unsere Beurteilung bestimmt unsere Gefühle und ohne glückliche Gefühle ist man nun mal nicht glücklich.
Und so können uns die perfektesten Lebensumstände nicht glücklich machen, wenn wir sie nicht positiv beurteilen. Auf der anderen Seite müssen unsere Lebensumstände natürlich gut genug sein, damit wir sie überhaupt positiv beurteilen können. Wenn wir am verhungern sind, lässt unser Gehirn keine positive Beurteilung dieser Situation zu.
Unsere Beurteilungen sind also für unser Lebensglück genauso wichtig wie die Ereignisse und Lebensumstände, auf die wir Tag für Tag unermüdlich hinarbeiten. Wir leben jedoch in einer Welt, in der schöne Lebensumstände als alleiniger Schlüssel zum Glück angesehen werden. So sind wir in unserer Kultur nun mal aufgewachsen und geprägt worden.
Die meisten Menschen konzentrieren sich daher ganz auf die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ohne sich jemals ernsthaft über ihre Beurteilungen Gedanken zu machen. Ein Weg, der nicht zum Glück führen kann und sehr häufig sogar ins Unglück umschlägt. So kann es beispielsweise ganz schnell passieren, dass man es mit der Verbesserung seiner Partnerbeziehung übertreibt und sie so lange verbessert, bis man sie schließlich damit kaputt verbessert hat.
Besonders glückliche Paare zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass sie ihren Partner überaus positiv beurteilen – laut mehrerer Glückstudien sogar deutlich positiver als das restliche soziale Umfeld. Analog sieht es mit besonders glücklichen Menschen ganz allgemein aus. Sie beurteilen sich selbst und ihre Lebensumstände deutlich positiver, als das „normal“ Glückliche an ihrer Stelle tun würden.
Nächste Woche "Warst du schon einmal glücklich verliebt?"
Herzliche Grüße
Bodo Deletz (alias Ella Kensington)