Der König und sein Günstling
Ein Leben für ein Königreich - oder ein Königreich für ein Leben?
Die Geschichte des Königs und seines Günstlings ist uralt…
Die Person, die den König lenkte, die „alles in allem und durch alles“ war. Sie kleidete sich wie der König, „huldigte“ ihm und war für die Alltagsgeschäfte zuständig, denen der Herrscher aufgrund seiner Stellung nicht nachkommen konnte – oder wollte. Dafür stand der Günstling in der speziellen „Gunst“ des Königs…
Doch was für eine Synthese war das? Wer regierte wirklich, wer hatte die Macht? Hatte der Günstling die heimliche Herrschaft? Oder wurde die Herrschaft sogar nur durch den Günstling erhalten? Denn der Vertraute des Königs hatte auch die Aufgabe, den Zugang zu ihm einzuengen. Er leistete damit dem von Bittstellern belagerten Landesherrn einen wichtigen Dienst. Der Herrscher des Landes wurde somit monopolisiert und schien damit unerreichbar auf seinem Thron. Das Volk erfuhr nur die Geschichten, die es erfahren sollte und der König wurde als eine besondere Persönlichkeit idealisiert – die er möglicherweise in der Realität gar nicht war. Und kriegerische oder persönliche Krisen des Königs sicherten die Stellung des Günstlings… solange er mit seiner Sündenbockfunktion dem Machthaber einen Neuanfang ohne Gesichtsverlust ermöglichte! Damit schien eines klar… je schwächer die Persönlichkeit des Herrschers, desto stärker war die Macht des Günstlings!
Selten erhielt der Günstling seine Macht bis ins Alter oder sogar bis an sein Lebensende… Denn mit der Übertragung der königlichen „Abgrenzungsmacht“, wuchs gleichzeitig die Angst des Königs, der Günstling könne selbst nach der Macht greifen und sich zum Herrscher „aufschwingen“. Oft wurde er also „beizeiten“ ausgewechselt, eingekerkert oder hingerichtet. Je niedriger seine Herkunftsposition war, je höher sein Aufstieg, desto tiefer sein Sturz… und nicht immer hatte der Günstling dann das Mitgefühl des Volkes. Dabei war doch des Günstlings größter Wunsch, Anerkennung, Aufmerksamkeit, Sicherheit und Liebe zu bekommen!
Doch wie gelang es ihm überhaupt die hohe, exklusive Gunst des Königs auf sich zu ziehen? Die Stärke des Günstlings lag im persönlichen Umgang mit dem Herrscher! Der König gewährte dem Günstling vieles - wenn dieser zum richtigen Zeitpunkt darum bat. Also musste der Günstling ein Meister darin sein, eine gewünschte Rolle zu erkennen - und bereit sein, diese zu spielen. Weitaus wichtiger als königliche Amtskompetenz war also in dieser Verbindung die Fähigkeit des Günstlings, sich den Erwartungen des Herrschers anpassen zu können und diese am besten über zu erfüllen…
Jedes System, dass auf Gunst beruht, wird immer wieder Günstlinge hervorrufen. Ob in der Antike, im Mittelalter oder in der Neuzeit… So gibt es auch heute noch „Könige“ – in Familiensystemen, im Arbeitsumfeld oder im Freundeskreis. Doch das sind sie nicht durch ein Geburtsrecht, so wie einst die Landesfürsten des Mittelalters. Ein „systemischer“ König existiert und lebt davon, jubelnde „Huldiger“ zu haben. Nur das macht ihn zur Hoheit, zum verehrten Idol, und verleiht ihm ein Gefühl von Macht. Wo Könige sind, sind also auch Günstlinge nicht weit.
Menschen mit einer großen Sehnsucht nach Anerkennung, Aufmerksamkeit, Sicherheit und Liebe und einer großen Bereitschaft „Alles“ dafür zu tun – außer selbst die Verantwortung für die Erfüllung ihrer eigenen Bedürfnisse zu tragen - übernehmen oft und gern die Rolle des Günstlings. Und wenn dann noch das Gefühl des mangelnden Selbstwertes und die Überzeugung, ohne Macht zu sein dazu kommt, warten sie sehnsüchtig darauf, von einem passenden König gesehen zu werden. In der Hoffnung so vielleicht aus der „Gefühlsunterschicht“ geholt zu werden.
Doch leider ist die Geschichte von Aschenputtel ein Märchen und die edelmütigen Könige sind heutzutage eher Traum-Prinzen… Also hilft sich ein Neuzeit-Aschenputtel einfach selbst, sucht sich einen gerade verfügbaren Prinzen und macht ihn einfach zum König! Sie entwickelt dabei ein unglaubliches Geschick, die Erwartungen der auserwählten Hoheit zu erahnen und sich seinen Wünschen flexibel anzupassen – bis zur Rückratlosigkeit! Es wird „gehuldigt“ was das Zeug hält, ein Thron aus „Vorschuss-Lorbeeren“ geflochten und sehnsüchtig auf ein bisschen Gunst gewartet. Solange der König sich des Jubels sicher fühlt - und nicht weiß, wie er sich selbstständig Anerkennung sichern kann – funktioniert das auch. Aschenputtel erhält als Ausgleich dafür einen ehrenvollen Status und er „sichert“ sich seine gewohnt machtvolle Position. So gewähren sich beide Schutz – vor der jeweils eigenen Angst, etwas verlieren zu können.
Denn verliert die mit Wohlwollen gekrönte Prinzessin die Gunst des Königs, weil ihr die Vorschusslorbeeren für den Thron ausgehen und sie nicht mehr genug huldigt, kann sie das ihr „Gefühlsleben“ kosten – und bei der Flucht aus dem Königreich auch gleich noch den gewohnten Lebensraum. So glaubt sie oft, ein Opfer des (selbsterschaffenen) Königs zu sein. Sie fühlt sich plötzlich im Schatten des Königsthrons nicht mehr so wohl, denn da wird sie ja gar nicht gesehen! Ein Ausweg scheint aber unmöglich – dafür hat sie nicht den Mut… Wo sollte sie schon hin, so ohne den mittlerweile gewohnten Status. So betrachtet scheint der Schatten des Throns vielleicht doch gar nicht so schlecht. Denn wenn man nicht gesehen wird, kann auch keiner von einem verlangen, Verantwortung zu übernehmen – das überlässt sie dann besser doch dem König.
Und wer sind die potentiellen System-Könige von heute? Menschen, die in ihrer Vorstellungswelt niemals etwas anderes waren. Die von Geburt an gewohnt waren, dass sich alles um sie dreht. Oder die schon früh gelernt haben, durch aufmerksamkeitserzeugende Strategien ihre unsicheren Eltern dazu zu bringen, ihnen jeden (meist materiellen) Wunsch von den Augen abzulesen – nur damit sie geliebt werden - die Eltern und die Prinzen…
Menschen mit einem „Hoheitsstatus“, gewollt oder ungewollt, können sich manchmal nur schwer vorstellen, in zweiter Reihe zu stehen und etwas anderes als ein König zu sein. Und einigen davon sind Macht und Besitz wichtiger als Gefühle - weil sie mit diesen nicht umgehen können! Durch einen immer höheren Status versuchen sie sich die gewünschte Anerkennung durch das Umfeld zu sichern und das scheinbar sichere „Systemkönigreich“ zu erweitern. Doch wenn man etwas besitzt, möchte man es meist auch behalten – vor allem wenn es das Gefühl der Macht verleiht. So wächst parallel und oft unbemerkt die Angst mit, in Krisenzeiten alles verlieren zu können! Und wenn Besitz mit dem Gefühl der Ehre verknüpft ist, dann verliert man diese gleich noch mit! Wird einer dieser Könige dann noch von seinen Günstlingen verlassen, kann ihn das seinen Emotionsthron kosten. Verliert er sein Königreich - verliert er sein Leben! Wie bedrohlich muss das für einen König sein…
Heutzutage haben wir das Glück uns jederzeit entscheiden zu können, ein König oder ein Günstling zu sein. Aber kann man das immer so genau trennen? Waren wir nicht alle schon einmal ein Günstling, der viel dafür gegeben hätte, „nur einmal“ der König, die Königin für jemanden zu sein, nur um ein bisschen Anerkennung willen?
Beides ist möglich! Mit der mutigen und freiwilligen Herzensentscheidung, nicht mehr Günstling zu sein, und Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, ist es möglich sich ein ganzes Königreich zu erschaffen. Aus eigener Kraft und mit vollem Bewusstsein. Die Herausforderung ist nur, ein König zu sein, der nicht vergessen hat, wo er herkommt. Der das Gefühl für sich und das Mitgefühl für sein Umfeld pflegt wie einen Schatz in der Kammer seines Herzens. Der voller Achtsamkeit dafür sorgt, dass seine Empathie trotz all der Verantwortung und Pflichten nicht auf der Strecke bleibt und er nicht zur „kühlen Hoheit“ wird. Der sich selbst der treuste Günstling ist…
Wenn er dann noch bereit ist, die Königin an seiner Seite als gleichwertig anzunehmen - und beide ihre Gefühle als wertvolles Gut betrachten und ihre gemeinsame Herzschatzkammer damit füllen - dann könnte daraus ein einzigartiges und wundervolles Königreich werden. Ein erster Schritt dorthin wäre vielleicht, einen wunderschönen Diamanten in die gemeinsame Schatzkammer zu legen und ab und zu die Gunst der Stunde zu nutzen, ihn wieder heraus zu holen und gemeinsam damit zu spielen. Einen Diamanten namens Zeit…
Herzlichst Claudia Sieber Bethke