EinTag in Stille
von Gerd Bodhi Ziegler -
Timo, der in Gerd Bodhi Zieglers Team die Internet-Aktivitäten betreut, berichtet aus seinem ersten STILLE-Retreat mit Gerd Bodhi Ziegler im Oktober/ November 2019.
7:30 Uhr – Kraftquelle zum Start in den Tag
Zu Seminarbeginn gestern Abend haben uns Bodhi und Musiker Erich auf Selbstkontakt im Schweigen eingestimmt und die Stille eingeläutet. Mein erster ganzer Seminartag beginnt mit der (freiwilligen) Morgenmeditation. Den Tag habe ich zuvor, noch vor dem Aufstehen, mit einem Lied und einer angeleiteten Meditation aus dem Fundus der Tonaufnahmen von Bodhis Seminaren begonnen. Nun leite ich die „Kraftquelle“ an, über die ich einst auch in Bodhis Feld gefunden habe, und freue mich, dass eine hübsche Gruppe Frühaufsteher gekommen ist. Andere genießen die mystische Nebellandschaft des Allgäus oder schlafen aus.
Die Bedingungen im Seminarhaus „Landhaus Kennerknecht“ sind insgesamt super. Allein die Musik-Technik tanzt in diesen Tagen aus der Reihe und „vertieft die Stille“. Nachdem schon die eigentliche Musik-Anlage im Seminarraum nicht so recht wollte, tut eine kleine Musikbox ihren Dienst – jedenfalls im Probelauf. Doch als es losgehen soll, hören wir keinen Ton.
So läuft spontan eine „Stille-Version“: Ich spiele die Musik zur Kraftquelle direkt von meinem Laptop ab und besonders in der 2. Phase, in der wir uns gerne an der Musik orientieren, übertönen wir diese – einiges Schmunzeln über verpasste Einsätze, auch von mir, ist die Folge. Aber Lachen ist in Bodhis Arbeit ja (fast) immer willkommen.
Ungeachtet der Unwägbarkeiten fühle ich, wie Kraft und Zentrierung im Laufe der etwa 50 Minuten ansteigen. In der Kraftquelle dürfen wir uns zunächst körperlich aktivieren und gehen dann allmählich in die Stille (Bild aus dem Centro d‘Ompio im August) über. Am Ende fühle ich mich freudvoll und dankbar, auch gegenüber den Mitmeditierenden.
8:30 Uhr – Das erste Frühstück in Stille
Nachdem ich den Seminarraum für die Morgensitzung hergerichtet habe, freue ich mich auf das Frühstück. Wow, tatsächlich herrscht Stille in den gemütlichen Speiseräumen! Und mit der Stille kommt sofort die Langsamkeit: Beim Auswählen der Zutaten für meinen Brei, bei den Handbewegungen, beim Essen selbst… es ist ein viel bewussteres Essen als ich es sonst praktiziere.
Im Kopf wirbeln allerlei Themen und Gedanken – das wäre so inmitten eines anregenden Tischgesprächs nicht passiert oder mir zumindest kaum bewusst geworden. Ist es nun die Langsamkeit oder habe ich die Zeit ganz vergessen? Als ich auf mein Zimmer gehe, ist es schon fast wieder Zeit, zur Vormittagsitzung aufzubrechen!
10:00 Uhr – Der Vormittag gehört dem Herzsitz
Als ich den Seminarraum betrete, merke ich, dass die Gruppe das Schweigen mitgebracht hat, so wie Bodhi es gestern Abend wünschte. Wie in eigentlich allen Seminaren beginnt die Vormittagsitzung mit einem wunderbaren Lied und einer live angeleiteten Meditation. Heute geht sie fast eine halbe Stunde und führt uns alle im Kreis tief in den Selbstkontakt.
Bevor sich anschließend einzelne TeilnehmerInnen mit einem persönlichen Thema auf dem „Herzsitz“ zeigen, stellen sich zunächst einmal kurz diejenigen vor, die zum ersten Mal im STILLE-Retreat dabei sind. Normalerweise ist dieses „Ritual“ in den ersten Abend eingebettet, doch bei Bodhi ist nichts fix – immer folgt er der aktuellen Energie der Gruppe, und die sehnte sich gestern Abend nach einer kurzen Abendsitzung und einer langen Nacht.
Auch wenn erfreulich viele Männer im STILLE-Retreat dabei sind, gehen die Damen auf dem Herzsitz (ja, der Stuhl mit dem Herzkissen) erst einmal voran. Wieder einmal entfaltet der Herzsitz seine Magie: Während Bodhi, unterstützt von der liebevollen Präsenz der Gruppe, dort mit Einzelnen in die Tiefe geht, arbeitet er auf einer anderen Ebene gleichzeitig mit allen Anwesenden.
Heute bringt die Stille als roten Faden der Herzsitze die erlebte Polarität zwischen Trennung und Verbundenheit hervor. Jeder knüpft – unabgesprochen – aus seinem Blickwinkel, auf seine Weise, mit seinem aktuellen Lebensthema daran an.
Ein Herzsitz ergibt den nächsten, spontan aus dem Moment heraus. Andere streichen ihren geplanten Gang auf den „heißen Stuhl“, weil ihr Anliegen soeben stellvertretend vorgetragen und anschließend mitbehandelt wurde. Alle im Raum sind berührt. Während der Herzsitze spricht Bodhi immer wieder zu allen – wichtige Impulse und Wissen gibt er so ganz nebenbei und stets aus der Praxissicht heraus weiter.
Für mich ist an diesem Morgen die Zeit des Herzsitzes noch nicht gekommen. Mein Prozess darf noch einige Tage reifen... Am Ende der Sitzung wäre kurz Gelegenheit, jemandem aus der Gruppe noch etwas aus dem Herzen mitzuteilen. Doch heute scheinen alle recht vertieft in ihre Stille und ihre individuellen Prozesse.
13:00 Uhr – Mittagessen und schon wieder Stille
Es folgt das gemeinsame Mittagessen im benachbarten „Starennest“. Ich bin freudig überrascht über die vegetarische Auswahl am Buffet und darf mich daran erinnern, dass der Magen nicht immer so groß ist wie die Augen. Dabei hilft die andächtige Stille im Raum: Sofort kaue ich auch hier wieder langsamer als im Alltag, erwische mich dann dabei, wie ich das Ess-Tempo erhöhe und kehre zurück zum bewussten Kauen und Schmecken. So esse ich wiederum langsamer und die Sättigung setzt ein, bevor ich jenen Appetit-Nachschlag nehme, den ich hinterher bereut hätte.
Es ist für mich noch ungewohnt, dass am Teamtisch nichts besprochen wird. So weiß auch ich nicht, was in der Nachmittagsitzung auf uns wartet. Die Mittagspause ist länger als in Bodhis anderen Seminaren, damit die Stille ihre volle Wirkung entfalten kann. Ich gebe zu: An diesem Tag habe ich die Stille unterbrochen, um mich noch persönlich mit Bodhis STILLE-Retreat-Organisator Samarpan zu besprechen, ehe er den Heimweg antritt. Dennoch ist auch Zeit, um mich ein wenig auszuruhen und zurück in meine eigene Stille zu kommen.
16:30 Uhr – Stille und Begegnungen
Schweigen ist nicht gleich Stille. Doch als wir die Nachmittagsitzung gemeinsam präsent in Stille beginnen, ist der Raum erfüllt von mehr als nur der Abwesenheit von Worten. Gerade da ich nicht weiß, wie lange die Stille am Anfang der Sitzung dauern wird, richte ich es mir ganz entspannt im Moment ein. JETZT gibt es wirklich nichts zu tun – ich kann ganz in mich hineinspüren und einfach nur sein.
Auf die Stille folgt eine Begegnungsübung im Seminarraum: Wir setzen uns zu zweit gegenüber und fragen sich abwechselnd: Wie geht es dir in der Stille? Mein Partner und ich schöpfen nicht die kompletten fünf Minuten fürs Sprechen und Zuhören aus und schauen uns einfach weiter in die Augen. Ich habe das Gefühl, ihn wirklich sehen zu können, seine Reinheit und Unschuld. Genau dies wird Bodhi wenige Tage später auch in ihm spüren, als er auf den Herzsitz geht. Sehr berührt gehe ich weiter, denn die Begegnungsübung hat noch eine zweite Runde mit der Frage „was erlebst du jetzt?“ und einer anderen Partnerin.
Bis zum Abendessen arbeiten wir in Dreiergruppen, die an den folgenden beiden Tage fortgesetzt werden. Jeweils zwei sind für den anderen da, und begleiten ihn oder sie eine Stunde lang mit Worten und heilsamen Berührungen durch das Erleben des Moments, abgerundet durch einen Austausch am Schluss. Ich bin Springer, doch da sich eine Teilnehmerin für den Nachmittag eine Auszeit genommen hat, lande ich in einer Gruppe mit einer neuen und einer mir sehr bekannten Teilnehmerin.
Letztere kommt an diesem Tag dran und steigt mit ihren Kopfschmerzen der letzten Zeit ein. Wir halten sie achtsam und geben ihrem Erleben immer wieder Raum. An einem Moment folge ich dem intuitiven Impuls, meine Hand auf ihre Stirn zu legen – ich fühle mich etwas unsicher dabei, aber hinterher erfahre ich, dass genau das sehr wertvoll für sie war. Auf wundersame Weise wandelt sich ihr Erleben recht schnell von Schwere in Leichtigkeit und Genuss; auch die Kopfschmerzen verfliegen. In gelöster Stimmung klingt unsere Arbeit aus. Noch ahnen wir nicht, dass die weiteren Begleitungen in den nächsten beiden Tagen auf wundersame Weise ganz ähnlich verlaufen werden.
19:00 Uhr – Leichte Kost
Meine Erfahrungen des Essens in Stille wiederholen sich und allmählich wirkt der ruhige Speisesaal auch nicht mehr ganz so erstaunlich auf mich. Damit alle ohne Ballast im Magen in die stillen Nächte gehen können, hat Bodhi extra ein besonders leichtes Abendessen organisiert: Eine warme Suppe und diverse Salate. Mir kommt das sehr entgegen, denn in anderen Seminaren ist das Abend-Buffet teils so üppig, dass ich zum Selbstschutz mittlerweile nur noch zu den kleineren Beilagentellern greife. Doch nicht jeder teilt meinen kulinarischen Rhythmus, und so wird es ab morgen zusätzlich Pellkartoffeln und Käse geben.
20:30 Uhr – Ein neuer „heißer Stuhl“ im Bodhi-Feld
Zur Abendsitzung ahne ich, dass es Raum für Erfahrungsaustausch geben wird. Ich ahne hingegen nicht, dass nach einer einleitenden Meditation eine „Weltpremiere“ bevorsteht: Der Herzsitz verwandelt sich in einen Mitteilungssitz – ohne Herzkissen, aber etwas nach vorne gerückt, können wir uns im Inneren des Stuhlkreises mit unserem aktuellen Erleben mitteilen. Das riecht nach Intensität pur!
Eine halbe Stunde lang ist der Mitteilungssitz gut besucht, dann ist für heute alles gesagt. Eine Teilnehmerin spricht dort ganz ohne Worte, auch Pantomime ist möglich. Ich spüre eine große Anziehung zu diesem Stuhl, aber auch heute Abend ist noch nichts mitteilungsreif in mir. Ich hoffe auf Fortsetzung in den nächsten Tagen. Bodhi entlässt uns mit einem Impuls für die Selbstbegegnung und einem Lied von Erich in die Nacht. Ich gehe früh ins Bett und spüre, wie meine Prozesse für diese Tage Konturen annehmen…
Intensive Tage stehen bevor
Die folgenden dreieinhalb Tage bis zur Abreise sind in der Tat höchst intensiv für mich. Mein Thema reift in mir und in der Begegnung mit anderen Menschen aus der Gruppe. Impulse aus den Themen der anderen bringen immer wieder neue Wendungen.
Schließlich melde ich mich für den letzten Herzsitzvormittag an, mache aus dem Herzsitz zeitweise einen Mitteilungssitz und erlebe einmal wieder, wie heilsam die gemeinsame Ausrichtung auf Liebe und Wahrheit in diesem Feld ist. Wunder dürfen geschehen... Am letzten Abend hebt Bodhi die Stille offiziell auf und die Musiker in der Gruppe übernehmen das Ruder: Ausgelassenes Tanzen und Feiern lösen das Schweigen ab. Und am Morgen danach lassen wir das STILLE-Retreat mit Bodhis Lichtritual schließlich ganz wunderbar ausklingen.
Herzlichst Gerd Bodhi Ziegler.